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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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und nachdem ich den Samen verloren hab, da möchte ich alles wieder aus spucken, zusammenflicken, streicheln, versöhnen ... aber nicht loslassen, als müßte ich es festhalten, um es wieder zu fressen.
    Sehen Sie ... ich bin ein anderer geworden ... und doch ... wenn ich an Mira denke ... dann möchte ich alles ... irgendwie nochmals erleben ... das Gestern ... nur anders, verstehen Sie das ... mit Mira erleben ... nur so! ... mich selbst erleben, der ich war und nicht mehr bin oder doch bin, wenn auch anders. Können Sie das verstehen? - Und auch das Heute möchte ich mit ihr erleben. Und das Morgen!
    Wissen Sie, was Liebe ist? Ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, daß das, was ich, der Massenmörder Max Schulz, für Mira empfinde ... das, glaube ich, muß es sein ... ich meine bloß ... Liebe!
    Ob ich dort war! In Wapnjarka-Podolsk? Dort ... wo alle Juden erschossen wurden ... außer zwei ... einer alten Frau und einer jungen Frau ... obwohl die auch erschossen wurden ... nur nicht richtig?
    Ich weiß es nicht. Ich habe viele Wälder gesehen und viele Friedhöfe, in Polen und in der Ukraine. Wir waren auch dort in der Gegend ... ich meine ... Miras Gegend. Aber ich habe mir nur die Namen der großen Städtegemerkt. Wapnjarka-Podolsk war ein unwichtiger Ort ... ein kleines Nest. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht war ich dort. Vielleicht nicht. Wir blieben ja nie lange. Ein paar Stunden oder einen Tag ... ich meine ... in den kleinen und unwichtigen Städten ... machten unsere Arbeit ... erfüllten unsere Pflicht, blieben nicht lange und zogen dann weiter.
16.
    Gestern hab ich Mira eingeladen. Wohin? Ins Cafe Trumpeldor! Hat Mund und Augen aufgerissen, der Kellner.
    Bestellte ein Stück Kuchen für mich, den Massen mörder Max Schulz, bestellte 10 Stück für Mira ... fünf Apfelschnitten, drei Stück Schokoladenkuchen, ein Stück Rosinenkuchen und eine Cremeschnitte.
    Da Mira nicht sprechen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als die ganze Unterhaltung alleine zu bestreiten. Das hat mich aber nicht gestört. Im Gegen teil. Sie wissen ja: ich bin ein Mensch, der gerne Mono loge führt.
    Was wir dann gemacht haben? Wollen Sie das wissen? Wir sind ins Kino gegangen. Ein Film mit Ingrid Bergman . Natürlich waren die Sitze für Mira zu eng. Aber der Kinobesitzer, Herr Mandelstamm, war so freundlich und brachte für Mira einen der breiten Klubsessel aus der Diele herein und stellte ihn neben den Notausgang. Hielten Händchen. Mehr hab ich nicht gewagt. Denn das hier ist Beth David! Und nicht Wapnjarka-Podolsk!
    Mira arbeitet gut, wenn auch nicht schnell. Die frißt nämlich auch während der Arbeit. Unaufhörlich. Und das nimmt Zeit in Anspruch: das Fressen!
    Miras weißer Arbeitskittel hat große Taschen. Und die sind vollgestopft mit allerlei leckerem Zeug: Feigen, Datteln, Nüssen, Rosinen, auch harten Brotrinden, Hirse und Klümpchen aus Ersatzmehl und Sagespänen ... eine Lagerdelikatesse, die Miras Appetit immer aufs neue reizt.
    Die Kunden kennen Mira, bringen ihr Bonbons und Schokolade mit, auch alte Brötchen, Speisereste, Hundefutter ... weil die Kunden genau wissen: das reizt sie besonders. Waren ja auch im KZ ... wenigstens viele von ihnen.
    Ob die alle so freßlustig sind, die KZniks? Nicht alle. Nur manche. Die meisten haben den Hunger überwunden. Haben sich auf andere Art gerächt. Irgendwie.
    Was das Personal anbetrifft: wir haben für Mira Verständnis. Lassen immer was Eßbares für sie zurück ... von unseren Zweitenfrühstücksstullen, auch sonst aller hand ... Apfelschalen oder -gehäuse, Kuchenkrümel, Pflaumen- oder Pfirsichkerne, an denen noch ›was dran ist‹; legen das immer, wie unabsichtlich, irgendwohin, meistens in eine Ecke auf dem Fußboden, am Ende des langen Frisiertisches ... oder sonstwo ... denn Mira schmecken diese Sachen erst dann wirklich ... ich meine: wirklich! ... wenn sie nicht so offen daliegen, schwer zu finden sind ... sozusagen: zu ergattern.
    Heute stand ich wieder lange vor dem Spiegel und guckte meine Goldzähne an. Was würde meine Mutter dazu sagen, wenn sie wüßte, daß ich Mira heiraten will? Sicher würde sie sagen: »Na, Anton! Mein Max will hei raten. Mit 40. Was sagst du dazu?«
    Und Slavitzki würde sicher sagen: »Mit 40, da sieht nicht jeder Arsch gleich aus. Da wird man wählerisch.«
    Und meine Mutter würde sagen: »Das stimmt, Anton."
    Und Slavitzki würde sagen: »Das muß ein guter Arsch sein.«
    Und meine Mutter würde sagen: »Ein

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