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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Judenarsch! Und obendrein fetter als meiner! Das reizt meinen Max!«
    Die Entscheidung ist gefallen. Ich habe Mira einen Hei ratsantrag gemacht. Sie hat nur mit dem Kopf genickt.
    Meine zukünftige Frau: Miriam Schmulevitch! Tochter des Joseph Schmulevitch ... erschossen am 9. Juli 1941. Auf dem jüdischen Friedhof in Wapnjarka-Podolsk.
17.
    Ich habe hier keine Familie. Aber Mira, die hat Familie. Schmuel Schmulevitch und seine Frau. Aber auch andere.
    Nein. Nicht der Vater. Der wurde doch damals erschossen! Auch nicht die Mutter. Und die fünf Brüder. Und die sechs Schwestern. Die wurden alle erschossen. Auch ihre Tanten und Onkel und Vettern und Basen ... aus Wapnjarka-Podolsk. Die wurden alle von uns erschossen. Die Familie Schmulevitch jedoch, ist groß.
    Ja. Die Mira hat noch Familie. Außer Schmuel Schmulevitch und seiner Frau. Andere Tanten und Onkel und Vettern und Basen. Wo die wohnen? In Mea Scharim, dem orthodoxen Judenviertel in Jerusalem. Die sind fromme Juden.
    Ich habe hier keine Familie. Das stimmt. Aber Mira, die hat Familie. Und bald wird ihre Familie auch meine Familie sein. Wir haben sie alle eingeladen. Zur Hochzeit. Alle.
    Mira und ich wurden am 3. September 1947 in Beth David von Rabbiner Nachum Nussbaum nach jüdischem Gesetz getraut. So wurde auch mein Vater getraut, der Chaim Finkelstein. Und meine Mutter, die Sara Finkelstein. Unter dem Baldachin!
    Rabbiner Nachum Nussbaum hatte kaum mit der Zeremonie begonnen, da fingen meine neuen Verwand ten auch schon zu schluchzen an. Und als ich dann dieentscheidenden Worte sprach, so wie mein Vater, der Chaim Finkelstein, sie einst gesprochen hatte zu meiner Mutter, der Sara Finkelstein, da wurde das Schluchzen meiner Verwandten noch stärker. Ich sprach: »Siehe! Du bist mir angetraut durch diesen Ring nach dem Gesetz Mosis und Israels!«
    Nachdem Rabbiner Nussbaum den Heiratsvertrag vorgelesen und auch die 7 Segenssprüche gesungen hatte, nippten wir an dem zeremoniellen Glas Wein, so wie mein Vater das gemacht hatte, der Chaim Finkelstein, und so wie meine Mutter das gemacht hatte, die Sara Finkelstein. Ich nahm dann das Weinglas und warf es auf den Boden, damit es in tausend Stücke zersprang, denn das war so Sitte, und mein Vater, der Chaim Finkelstein, hatte das ebenso gemacht.
    Als wir unter dem Baldachin hervortraten, ein frisch gebackenes Ehepaar, beglückwünschten uns meine neuen Verwandten und einige Kunden des Friseursalons Schmuel Schmulevitch, die ich eingeladen hatte, und auch das Personal, das auch. Sie schüttelten uns die Hand, riefen: »Masel Tov!« riefen: »Soll sein mit Masel!«
    Die Feier fand aus Rücksicht auf meine frommen Verwandten in einem streng koscheren Hotel statt: Hotel Cohen, um die Ecke vom Cafe Trumpeldor. Wir hatten den Saal für den Abend gemietet.
    Stellen Sie sich vor: Weißgedeckte, lange Tische. Ein Festessen: gefüllter Fisch, Nudelsuppe, Suppenfleisch mit Salzkartoffeln und Zimmes - das sind gesüßte Mohrrüben - Als Nachspeise: Apfelkompott mit Rosi nen und eine Kugelspeise - meine Mutter, die Sara Fin kelstein, nannte sowas Kigel - auch Nußstrudel, Apfelstrudel, Kirschstrudel, Obst, Datteln, Feigen, selbstverständlich auch Kaffee und Tee.
    Stellen Sie sich vor: Eine Kapelle wie Anno dazumal, nicht wie bei uns in Wieshalle, aber so wie dort in Wapnjarka-Podolsk . Spielten jiddische Lieder. Spielten auch Zigeunermusik. Stellen Sie sich vor: Die Kapelle spielt zum Tanz auf. Die frommen Juden aus Mea Scharim, in langen, schwarzen Kaftanen, Käppis und Pelzhüten, tanzen unter sich, drehen sich im Kreis, schnippen mit den Fingern, wippen mit den Bärten. Man nennt das Mitzwetänzel.
    Stellen Sie sich vor: Die frommen Juden zerren mich, den Massenmörder Max Schulz, von seinem Sitzplatz herunter - eine freundliche Geste - und fordern mich auf, mit ihnen zu tanzen.
    Stellen Sie sich vor. Wir sind alle schon ein bißchen beschwipst. Die frommen Juden lachen, schnippen mit Fingern, wippen mit den Bärten, drehen sich lustig im Kreise. Ziehen mich mit. Ich tanze mit ihnen. Bin beschwipst. Seh alles anders. Sehe mich selbst. Mit dem Goldsack auf dem Rücken. Sehe mich tanzen. Sehe meine Toten. Und die tanzen mit.
    Ein Totentanz. Und wir, die Lebenden, sind mitten drin. Und die Musik spielt für uns auf.
    Nein! Mich kriegen die Toten nicht weich! Wenn die Toten mit mir tanzen wollen, dann habe ich nichts dagegen.
    Ich taumele zurück auf meinen Sitzplatz, lasse mich auf den Stuhl fallen, stütze den Kopf in die

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