Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
hin?"
    »In Lastautos«, sagte Motke.
    »Und was wollen wir in den ›Empire-Kasernen‹?«
    »Waffen klauen«, sagte Motke. »Hoffentlich ein paar Lastautos voll. Die werden wir nämlich brauchen.«
    »Für den Krieg der Zukunft?«
    »Das stimmt«, sagte Motke.
    Mein Lehrjunge stolperte, und ich hielt ihn fest. »Immer aufpassen, mein Junge!«
    »Ja, Chawer Itzig.«
    »Wann greifen wir an, Motke?«
    »Erst nach Tagesanbruch.«
    »Und warum nicht im Dunkeln?«
    »Das weiß ich nicht, Chawer Itzig. Aber ich glaube ... weil wir in englischen Uniformen in einem ganz nor malen Geleitzug zu den Kasernen fahren. Das sieht am Tage ganz harmlos aus.«
    Als wir etwas später durch den Wald der 6 Millionen marschierten, da brach mir der kalte Schweiß aus den Poren. Im Wald der 6 Millionen hörte ich die alten Bäume beten ... obwohl es doch dort noch keine alten Bäume gab. Ich konnte sie sehen, und ich konnte sie hören. Ich sah ihre Baumaugen gen Himmel gerichtet, und ich hörte die Worte: »Schemah Jisrael, Adonai Elohenu , Adonai Echat! Höre, oh Israel: der Herr unser Gott ist ein einziger Gott!«
    Ich sah keine Kriechtiere wie vorhin im trockenen Flußtal, sah aber riesige Vögel, viel größer als die im Flußtal. Und die Riesenvögel kreisten über den Baumwipfeln, hatten verrenkte Hälse und offene Schnäbel, als kriegten sie keine Luft, kreisten dort hoch über den Bäumen und krächzten den gelben Mond an.
    Die uralten Bäume im Wald der 6 Millionen segneten die anderen, sie standen höher als die anderen Bäume, und sie hatten ihre knorrigen Zweige weit ausgestreckt. Ich sah, wie die jüngeren, männlichen Bäume die weib lichen an die Baumbrust drückten, und ich sah, wie die weiblichen das geschehen ließen und die männlichen Bäume streichelten ... aber nur mit einer Hand, denn die andere Baumhand fuhr zärtlich über die Köpfe der ganz jungen, die niedrig standen und die Baumgesichter in den Schürzen der Mütter verbargen.
    Und ich sah das alles, als wir dort durchmarschierten, und ich spürte auch den Geruch, der über dem Wald lag. Das roch so ganz seltsam, drehte mir den Magen um und stieg in meine Kehle. Weiß nicht, was das war, aber ich glaube, das roch nach Gas und auch nach Pulver und nach nassen Hosen und nach Gebetrollen und auch nach Angst, im Gebet erstickte Angst, eine anders riechende Angst als die andere Angst, die auch wir gekannt hatten. - Und es roch auch nach dem lieben Gott. Ein bißchen. Ein bißchen nach Gott.
    Ich sagte zu meinem Lehrjungen Motke: »Gefällt mir gar nicht, Chawer Motke, wie das hier riecht.«
    »Nach jungen Bäumen, Chawer Itzig.«
    »Hast du nicht die alten Bäume gesehen?«
    »Nein, Chawer Itzig. Wir haben den Wald erst vor zwei Jahren gepflanzt.«
    »Und hast du die 6 Millionen gesehen?«
    »Die auch nicht«, sagte Motke. »Soviel haben wir noch nicht gepflanzt. Das ist doch erst der Anfang.« Und Motke sagte: »Der Anfang, Chawer Itzig.«
    Jankl Schwarz griff die ›Empire-Kasernen‹ mit 200 Leu ten an. Wir kämpften mit der aufgehenden Morgensonne im Rücken und mähten die geblendeten Engländer mit unseren Maschinenpistolen nieder, ehe sie noch Gelegen heit hatten, so recht zur Besinnung zu kommen, um die wichtige Frage zu stellen: »Was ist eigentlich los?«
    Ich kämpfte im Stoßtrupp C. Unsere Einheit langte etwas später an, nachdem Stoßtrupp A und Stoßtrupp B bereits im Inneren des Camps und der Kasernenhöfe waren, den Stacheldraht durchschnitten und das breite Einfahrtstor mit Heiligen Handgranaten und Heiligem Dynamit aus den Angeln und die drei Wachttürme aus der Heiligen Erde gehoben hatten.
    Unsere Verluste waren geringfügig. Unsere Beute groß: 10 Lastwagen mit Munition und Waffen für den Zukunftskrieg.
19.
    Nach seiner ersten Aktion hatte der Massenmörder Max Schulz an sechs weiteren Aktionen teilgenommen: eine Brücke gesprengt, einen Zug zum Entgleisen gebracht, eine Bank ausgeraubt, zwei Kasernen angegriffen und eine englische Panzer- und Lastwagenkolonne auf der Straße Tel Aviv-Jerusalem.
    Man munkelt über mich. Keiner weiß was Genaues. Aber man munkelt. Ganz besonders im Friseursalon Schmuel Schmulevitch.
    Schuld daran ist nicht etwa mein häufiges ›Kranksein‹, sondern die Fahrlässigkeit meines Lehrlings Motke. Hat sich unlängst verplappert, der Motke. Er selbst ist nicht verdächtigt worden. Jedoch: Itzig Finkelstein!
    Die wissen im Friseursalon Schmuel Schmulevitch, daß der Itzig Finkelstein ein Terrorist ist... obwohl sie

Weitere Kostenlose Bücher