Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
... nichts Genaues wissen.
    Frau Schmulevitch zittert vor mir. Hat sich das Kettchen mit dem Eisernen Kreuz ausgezogen und sich einen übergroßen Davidstern umgehängt. Den versteckt sie aber nicht zwischen den alten Brüsten. Den trägt sie offen zur Schau. Sagte unlängst: »Herr Finkelstein. Ich bete jede Nacht für den Endsieg!«
    Will mich beeindrucken, die alte Hexe. Hab zu ihr gesagt: »Das waren die Worte des Führers, Frau Schmu levitch!"
    Verbesserte sich gleich, sagte: »Ich bete für die Frei heit des jüdischen Volkes! Und für die Auferstehung!«
    Auf der Straße vergißt keiner, mich zu grüßen. Sogar mein Kellner im Cafe Trumpeldor ist letzthin mir gegenüber von einer übertriebenen Aufmerksamkeit, die mir fast peinlich ist. Reserviert meine Zeitungen und schneidet selber die Berichte über den Massenmord für mich heraus, damit - wie er sich ausdrückt - ›der Herr Finkelstein in Ruhe seinen Kaffee trinken kann, Kaffee mit Sahne!‹
    Ich habe bemerkt: wenn der Kellner mir den Kaffee serviert, zittern seine Hände.
    Nein! Wir haben hier keine Verräter. Die Engländer wissen noch nichts.
    Die Zeit verstreicht. Das stimmt. Es ist schon Mitte Oktober. Einmal hatte ich mitgemacht. Und dann noch sechsmal. Und das sind siebenmal. Und die 7 ist eine böse Zahl!
    Beim siebenten Angriff ... der Angriff auf die engli sche Panzer- und Lastwagenkolonne auf der Straße Tel Aviv-Jerusalem ... wurden unsere Leute aufgerieben. Jankl Schwarz kam dabei ums Leben.
    Die Schwarz-Gruppe löste sich danach auf. Einige Leute gingen zu der Terrorgruppe Irgun Zwai Leumi über, einige zur Terrorgruppe Stern, die meisten jedoch, und unter ihnen auch ich, reihten sich in die Reihen der Haganah ein, der jüdischen Untergrundarmee.
    Hab zu mir gesagt: »Max Schulz! Damals, 1933, hattest du falsch gewählt! Und verloren! Denk daran: Kein Mann kann es sich leisten, zweimal zu verlieren! Oder zweimal falsch zu wählen! - Du wirst weiter für den Judenstaat kämpfen. Mit Leib und Seele. Und wenn es keine Seele gibt, dann nur mit deinem Leib! - Max Schulz! Diese Juden können auf dich rechnen!«
    Die Entscheidungsschlacht der Zukunft steht uns Juden noch bevor. Aber militärische Übungen ... die machen wir von der Haganah jede Woche, mal hier, mal dort, meistens in den Kibbuzim.
    Meine neuen Kameraden in der Haganah sind im Durchschnitt jünger als ich. Aber hier wird jeder Mann gebraucht. Man drückt ein Auge zu. Und schießen kann ich. Gut sogar. Ein Talent wie meines läßt sich nicht ver leugnen.
20.
    Ich müßte folgende Sätze in mein Tagebuch eintragen:
    Itzig Finkelstein hat sich am 1. November 1947, wäh rend einer Geländeübung, beide Beine gebrochen.
    Die Leute der Haganah brachten Itzig Finkelstein ins Hadassah-Spital von Beth David.
    Dort blieb er bis zum 27. November.
    Am 27. November holte ihn seine Mira nach Hause.
    Am 29. November wollte Itzig Finkelstein Radio hören, stellte aber fest, daß sein Radio kaputt war. Zum Glück war das Fenster offen. Auch das Fenster seines Nachbarn, der sein Radio auf Höchststärke eingeschaltet hatte. Dadurch oder durch diesen Umstand erfuhr Itzig Finkelstein den Beschluss der Vereinten Nationen ... noch ehe seine dicke Mira ihm, Itzig Finkelstein, die freudige Nachricht nach Hause brachte ... denn sie war gerade nicht da, das heißt: zu Hause.
    Itzig Finkelstein hörte am 29. November 1947 ... in seinem Bett ... daß »der Teilungsplan Palästinas von der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit 33 gegen 13 Stimmen und 10 Stimmenthaltungen angenommen worden war!«
    Das bedeutete, daß die Engländer abziehen würden!
    Das bedeutete ... zwei selbständige Staaten in Palästina. Ein arabischer Staat! Und ein jüdischer Staat!
    Endlich!
    Ein Judenstaat!
    Wenn auch nur ein kleiner und beschnittener und verkürzter und nicht so groß und dick, wie Itzig Finkelstein und Jankl Schwarz gehofft hatten, im Rahmen der histo rischen Grenzen ... aber immerhin: ein kleiner Staat!
    Besser ein kleiner als gar keiner!
    Schließlich könnte man den vergrößern!
    Als Itzig Finkelstein die volle Bedeutung des im Radio Gehörten kapierte oder begriff, sprang er, trotz Gipsverband, mit einem Freudensatz aus dem Bett.
    Aber das war verfrüht! Denn der Staat stand vorläufig nur im Aktenschrank der Vereinten Nationen.
    Kein Wunder, daß Itzig Finkelstein sich wieder die Beine brach. Denn die Bruchstellen waren ja noch nicht völlig verheilt.
    Ich wurde wieder ins Hadassah-Spital eingeliefert und

Weitere Kostenlose Bücher