Der Nazi & der Friseur
in den Medien oder Angriffe aus Institutionen durchzustehen, denn dass das wirtschaft liche Risiko bei einem solch spektakulären Text und der medienwirksamen Lebensgeschichte des Autors gering war, war offensichtlich.
Nach Vermittlung durch den Berliner Literaturförderer K. P. Herbach erschien der Roman »Der Nazi & der Friseur« schließlich Ende August 1977 im kleinen Literarischen Verlag Helmut Braun in Köln.
Geld, um nennenswerte Werbung für den Roman zu finanzieren, war in meiner Verlagskasse nicht vorhan den. Aber ich war mir sicher, dass die Medien auf dieses Buch und seine Geschichte, den Autor und dessen Geschichte einsteigen würden. Mit diesem Pfund musste ich wuchern. Also begann ich zu telefonieren, zu schreiben und zu reisen. Eine erste Hamburgtour nahm Formen an; unter anderem fuhr ich zum Spiegel und zur Zeit. Rolf Becker, damals Kulturchef beim Spiegel, emp fing mich, holte Fritz Rumler mit hinzu. Die Klasse und Brisanz der Geschichte war ihnen sofort klar, die Qualität des Manuskripts überzeugte. Der Artikel von Rumler - »Dem Romancier Edgar Hilsenrath gelingt in ›Der Nazi & der Friseur‹ scheinbar Unmögliches: eine Satire über Juden und SS. Ein meisterliches Vexierspiel über Schuld und Sühne« - erschien drei Tage nach Aus lieferung der Erstauflage. Damals gab der Spiegel die Bestsellerliste für Bücher noch in Form eines Plakates heraus. Viele Buchhandlungen hängten es regelmäßig aus. Ich griff das Layout des Bestsellerplakates auf und ließ in den roten Rahmen mit dem Spiegel-Schriftzug den Artikel von Rumler drucken und diese Plakate ver senden. Drei Tage nach Erscheinen der Spiegel- Ausgabe hatten die Buchhandlungen in Deutschland die Plakate vorliegen. Viele gingen auf dieses Werbeangebot ein und hängten die Plakate aus.
Der Artikel im Spiegel war die Initialzündung, vom Stern bis zur FAZ, vom Express bis zur Süddeutschen Zeitung: alle widmeten sie sich ausführlich Edgar Hilsenrath und seinem Buch. Mit durchschlagendem Erfolg: Der Erstauflage von 10 000 Exemplaren folgten nur kurze Zeit später die zweite und dritte Auflage in jeweils gleicher Höhe.
Herausragend war sicher die Besprechung, die Hein rich Böll in der Zeit am 9. Dezember 1977 veröffentlich te: »... Diesen blutbesudelten Hans im Glück mit seiner Goldlast durch die Zeiten zu bringen, diesen grauslichen Max Schulz als Itzig Finkelstein in Israel durch seiner Hände - nicht seiner Mörderhände - Arbeit zu bescheidenem Wohlstand, zu seiner dicken Mira zu bringen, da will das und wenn sie nicht gestorben sind, nicht so recht heraus. Das Gruselspiel war ja kein Spiel, es ist durch Hilsenrath wirklich geworden und es hat sie ja wohl doch gegeben - oder? - diese Nazis, die getan haben, wovon keiner gewusst, was keiner gewollt und wenn man alles vergessen sollte: Die Goldzähne und die, die sie einmal getragen haben, vergisst man nicht, wenn Schulz-Finkelstein da im Wald der sechs Millionen spazieren geht."
Nach schwierigem Start wurde aus dem Roman »Der Nazi & der Friseur« auch in Deutschland ein Longseller mit mehr als 250 000 verkauften Exemplaren. Welt weit ist dieses Buch in 16 Sprachen und 22 Ländern erschienen. Es ist das spektakulärste Buch Edgar Hilsenraths und hat ihn zu Recht berühmt gemacht.
Was aber stand einer Veröffentlichung in deutschen Ver lagen entgegen?
Der Autor berichtet von einem Identitätswechsel, dies ist in der Literatur kein seltenes Thema. Allerdings wird über ungeheure Verbrechen ausschließlich aus der Täterperspektive erzählt, schlimmer noch: aus einer Täterperspektive bei Annahme einer Opferidentität. Hilsenrath durchbricht damit die Tabuisierung oder Ikonisierung, mit der das Bild der Juden nach 1945 belegt war. Er führt die Austauschbarkeit des scheinbar Unaustauschbaren - Jude und Arier, Lüge und Wahrheit - vor. Die Taten seines Max Schulz entziehen sich ob ihrer Monströsität jeder irdischen Gerichtsbarkeit, selbst die Todesstrafe ist keine angemessene Sühne.
Die Erwartungshaltung an einen Roman, der ein sol ches Verhalten wie das von Schulz-Finkelstein aufzeigt, ist, dass der Täter am Ende einer gerechten Strafe zuge führt wird. Hilsenrath verweigert den Lesern einen solchen »versöhnlichen« Schluss. In der inszenierten Gerichtsverhandlung bekennt sich der Täter zwar zu seinen Taten, aber er »bereut« sie nicht; vielmehr ver sucht er sich zu rechtfertigen, und zwar in einer Art und Weise, die in literaturwissenschaftlichen Arbeiten als
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