Der Nazi & der Friseur
Schreibtisch. Er ist einer von drei Untermietern in drei möblierten Zimmern. Hilsen rath fühlt sich wohl. Er arbeitet intensiv an seinem Text. Nach einem Jahr sind fünf lange Kapitel, von ihm als Bücher eins bis fünf bezeichnet, fertig. Nur das ab schließende Israelkapitel fehlt noch. Leider ist der Vorschuss aufgebraucht. Edgar Hilsenrath muss zurück nach New York, wo er in die Wohnung seiner Elterneinzieht. Zügig schreibt er das sechste Kapitel des Romans und liefert den deutsch geschriebenen Text bei Doubleday & Company ab.
Ken McCormick war - gelinde gesagt - überrascht, als der Roman als deutscher Text auf seinem Schreibtisch lag. Aufgrund des englischen Exposes hatte er einen engli schen Text erwartet. Dies wurde allerdings nicht zu einem Problem. Der Verlag erteilte Andrew White, hauptberuflich Professor für Germanistik an der University of New York, einen Übersetzungsauftrag. Edgar Hilsenrath fand die Übersetzung ausgezeichnet und autorisierte sie. Im Frühjahr 1971 erschien bei Doubleday & Company »The Nazi & The Barber« und fand in der amerikanischen Presse ein breites Echo. Innerhalb von vier Jahren wurde der Roman auch in Italien, Frankreich, England und als Taschenbuch in den USA publiziert. Die verkaufte Aufla ge kletterte über die Millionengrenze.
Natürlich rechneten der Autor und seine Literaturagenten nach den fulminanten Erfolgen des Buches in den genannten Ländern nun damit, diesen Roman auch bei einem deutschen Verlag unterzubringen. Zumal ja der Text in deutsch geschrieben war, eine Übersetzung sich also erübrigte. Doch zu ihrer und Hilsenraths Überraschung reagierten die deutschen Verlage nicht oder mit Ablehnung.
Die Rückkehr Hilsenraths 1975 nach Deutschland ge schah auch in der Hoffung, dass er hier einen deutschen Verlag für sein Buch finden würde. Er ging jedoch nicht wie zunächst geplant nach München, sondern folgte dem Rat eines Freundes in London, nach Berlin zu gehen. Dort werde er - wenn es denn Deutschland sein müsse - die für ihn besten Lebensumstände finden. Edgar Hilsenrath hat seine Entscheidung bis heute nicht bereut; er lebt gerne in dieser Stadt.
Bald nach seiner Ankunft bekam er Hilfestellung bei der Verlagssuche. Autoren, die er kennen lernte und andere Personen, mit denen er Freundschaft schloss, vermittelten Kontakte zu Verlagshäusern.
Zählt man die Absagen, die der Autor direkt oder seine Agenten erhielten, zusammen, so stellt man fest, dass mehr als sechzig deutsche Verlage im Verlauf von drei Jahren die Veröffentlichung des Romans »Der Nazi & der Friseur« ablehnten. Darunter waren viele renom mierte Adressen, wie zum Beispiel Hoffmann & Campe, Bertelsmann, Rowohlt, Scherz, S. Fischer, Hanser, Luchterhand , Wagenbach und Kiepenheuer & Witsch.
Dass ein Autor, der mit zwei Romanen in den USA, England, Frankreich und Italien eine Auflage von zwei Millionen verkauften Exemplaren erreicht hatte, abgelehnt wurde, ohne dass sein Buch von den Lektoren gelesen worden war, wie nachträglich gelegentlich ent schuldigend angeführt oder eben untergegangen sei in der Fülle der Angebote, ist wenig glaubhaft.
In Einzelfällen wurde die Nichtannahme individuell begründet, so von einem Lektor des Hanser Verlages. Er hielt eine umfangreiche Lektoratsarbeit für den Roman von Nöten. Es mangele der Konzeption sowie der stilistischen Ausführung, dem Psychogramm des Erzählers als auch den sozialen Umfeldern und insbesondere den weiblichen Figuren an Details.
Wenn wir sehen, welches positive Echo der unverän derte, nicht neu lektorierte Roman nach seiner Veröffentlichung bei den Lesern, in der Buchkritik und der Literaturwissenschaft fand, lässt sich begründet vermuten, dass auch die individuell begründeten Absagen nur kaschierten, was in der deutschen Verlagsszene einhelli ge Meinung und in manchen Ablehnungen auch offen formuliert worden war: So kann und darf man über das Thema Holocaust nicht publizieren!
Man war sich einig, dass eine Aufarbeitung der Shoa in Form einer bitterbösen, pechschwarzen Satire - noch dazu ausschließlich aus der Täterperspektive geschrie ben - völlig unangemessen und deshalb unzulässig sei. Auf den Punkt gebracht: Die in Verlagen sitzende Nach folgegeneration der Täter beanspruchte, dem Opfer vorzuschreiben, wie die Shoa literarisch darzustellen sei, beziehungsweise festzulegen, wo die Grenzen für eine solche Darstellung lägen.
Vielleicht fehlte einigen aber auch nur das Rückgrat, befürchtete Verrisse
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