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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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sprach, immer weiter zurückgriff und schließlich bei Jerusalem anlangte, wurde ich wieder aufmerksam, klappte meine Hacken zusammen, atmete durch die Nase, hörte auf, Schnurrbärte und Stirnlocken zu vergleichen, vergaß die Totenvögel auf dem Altar aus Eichenholz und Fahnentuch, blickte nur in ›Seine‹ Augen.
    Der Führer hatte die Bibel aufgeschlagen. Er blätterte zuerst im Alten Testament, dann im Neuen, schob die Stirnlocke etwas zurück, zog die Stirn in krause Falten und sagte schließlich: »Lukas 23, 27-29.«
    Dann fing er mit heiserer Stimme zu lesen an: »Es folgte ihm aber nach ein großer Haufen Volks und Weiber, die beklagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: ›Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht gebo ren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben! ‹«
    Der Führer klappte die Bibel wieder zu, faltete die Hände, hob seine prophetischen Augen zum Himmel und sprach:
    »Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Der Herr hat sie verflucht. Und der Fluch ist gefangen. Ich aber bin gekommen, um ihn zu erlösen.«
    Und der Führer sprach:
    »Selig sind die Starken, denn sie werden das Erdenreich besitzen.
    Selig ist die Faust, denn sie wird das Loch schlagen in den Kreis, auf daß es ein richtiges Loch sei und kein hal bes. Denn halbe Löcher gibt es nicht!
    Selig sind die, die dicken Blutes sind, denn sie werden alles beherrschen, was unter der Sonne ist. Denn so das Blut wässerig, wie sollte es da nicht verdunsten. Und was nicht mehr ist, ist nicht. Und wie sollte es da herrschen?«
    Und der Führer sprach:
    »Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer den Volksfeind tötet, der heiligt meinen Namen. Und wer mich heiligt, der hat Anteil an meiner Heiligkeit.«
    Und der Führer sprach:
    »Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber frage euch: Tun das nicht auch die Zöllner? Was ist ein Auge und was ist ein Zahn? Bleibt da nicht noch ein Auge? Und 31 Zähne? Wahr lich, ihr Lohn ist dahin. Ich aber sage euch: 2 Augen für ein Auge. Und 32 Zähne für einen. Blendet eure Feinde und macht sie zahnlos für alle Ewigkeit. Denn der Blin de kann nicht mehr sehen. Und der Zahnlose nicht mehr beißen. So ihr herrschen wollt, so schlaget kräftig zu. Und so ihr das Erdenreich wollt, das ich euch geben will, so tut, wie euch geheißen. Amen.«
    Und der Führer sprach:
    »Verflucht sei der Stock in der Hand des falschen Meisters. So der Stock aber den Meister wechselt und der neue Meister ein wahrer Meister ist, so sei er geheiligt.«
    Und der Führer sprach:
    »Selig ist der Stock in der Hand des wahren Meisters. Denn siehe: Es ist nicht der Stock, der die Hand, sondern die Hand, die den Stock adelt. Wahrlich ich sage euch: In der Hand des wahren Meisters wird der Stock zum Schwert, auf daß die Hand herrsche bis in alle Ewigkeit. Amen.«
    Als der Führer die letzten Worte gesprochen hatte, entsetzte sich der Himmel, denn seine Rede war gewaltig. Es fing zu donnern und zu blitzen an. Über dem Ölberg häuften sich Wolkenmassen, kreisten über dem Altar. Aber der Regen hatte Angst, und die Wolken stoben wieder auseinander. Die Menschenmasse war totenstill.
    Während des letzten Teils der großen Rede spürte ich heftiges Jucken. Mein Hintern! dachte ich. Warum juckt der so? Und dann wurde das Jucken stärker, immer stärker, wurde zum brennenden Schmerz. Ich sah den gelben und den schwarzen Stock, sah auch das Glied Slavitzkis, und das hing am schwarzen und am gelben Stock, war ein Teil davon, grinste höhnisch, war ein Wahrzeichen meiner Ohnmacht. Pausenlos hämmerten die Worte des Führers in meinem Schädel: »Verflucht sei der Stock in der Hand des falschen Meisters. So der Stock aber den Meister wechselt ...« Mir war ganz schwindlig. Ich spürte einen Kloß im Hals. Der würgte. Und den wollte ich ausspucken. » - Selig ist der Stock in der Hand des wahren Meisters. Denn siehe ..."
    Und da sagte ich zu mir: Ja, warum eigentlich? Jetzt ist's aber genug! Und ich sagte zu mir: Max Schulz. Du wirst den Hintern nicht mehr hinhalten. Höchste Zeit, daß du mal selber den Stock in die Hand nimmst, den gelben und den schwarzen.
    Und neben mir stand

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