Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
aussah, aber keiner war!
    Aha, dachte Frau Holle. Jetzt weißt du, wer das ist. Das ist doch der Max! Warum ist dir das nicht gleich eingefallen? Natürlich! Das Konzentrationslager Laubwalde. Im deutschbesetzten Polen. Dort, wo dein Günter Dienst tat! Und der Max Schulz! - Und war das nicht 1943? Da besuchte dich Günter. Und brachte diesen Max Schulz mit. Und sagte: »Das ist Max Schulz. Der sieht wie ein Jude aus, ist aber keiner!« Und der Max Schulz lachte und sagte: »Ich bin keiner!«
    Und Günter sagte: »Endlich wieder in der Heimat!«
    Und der Max Schulz sagte: »Ja, Günter.«
    Und Günter sagte: »Bei uns ist's gemütlich, Max. Und 'ne schöne Aussicht vom 5. Stock. Im Sommer luf tig. Und im Winter warm. Und wenn Frau Holle im Winter die Federbetten ausschüttelt, dann schneit's in unserer schönen deutschen Stadt.«
    Und Max Schulz lachte und sagte: »Ja, das ist mal was.«
    Und Günter sagte: »Ja.«
    Und der Max Schulz sagte: »Ja."
    Und Günter sagte: »Wenn der Krieg zu Ende ist, Max - dann denk daran - bei Frau Holle hast du immer ein Zuhause!"
6.
    Willi Holzhammer reparierte sein altes Fahrrad. Seine Mutter vertrug das Hämmern nicht und wollte auch keinen »Saustall« im Wohnzimmer, und so hatte Willi Holzhammer das Fahrrad ins Freie gebracht, obwohl das Wohnzimmer ohne Zimmerdecke im Grunde ja auch im Freien lag - aber das war was anderes. Er hatte das Fahrrad also ins Freie vor die Haustür gebracht, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Die Handbremse funktionierte jetzt, auch der Dynamo und beide Scheinwerfer, die Kette war frisch geölt und das vordere Schutzblech saß wieder fest. Jetzt hatte er nur noch den hinteren Reifen zu flicken. Ein Glück, daß er die Werk- und Flickzeugschachtel vor den Bom ben gerettet hatte; sogar Glaspapier, Schutzleinen, Gum milösung und Rund- und Viereckflick waren noch da.
    Am frühen Tag war der Himmel stark bewölkt gewe sen; es hatte so ausgesehen, als würden die Ruinen der Nietzschestraße ein Brausefreibad erhalten, aber die Wolken hatten sich dann verzogen, und die Morgensonne hatte die Straße in ihrem Strahlennetz eingefangen.
    Willi Holzhammer arbeitete intensiv. Wenn das Rad noch bis Mittag fertig wurde, dann wollte er nach Solendorf fahren zu seinem Freund Rudi Schalke, dessen Vater Landwirt war. Dort gab's immer was Anständiges zu essen. Willi hatte sein Turnhemd ausgezogen,ließ sich bräunen, pfiff vor sich hin, rauchte ab und zu.
    Vor etwa einer Stunde hatte Willi die humpelnde Frau Holle aus dem Haus eilen sehen - in Richtung Adolf-Hitler-Platz. Sie hatte ihn nicht gegrüßt. Dann war sie wieder zurückgekommen, ein wenig verstört im Gesicht, hatte ihm flüchtig zugenickt und war im Haus eingang verschwunden.
    Erst jetzt tauchte Frau Holle wieder auf. Sie trug einen Wassereimer in der rechten Hand, schlenkerte damit, blinzelte ihm zu, blieb aber diesmal stehen. Willi bemerkte, daß ihr Gesicht seltsam gerötet war.
    »Zur Pumpe in der Fleischerstraße?« fragte Willi.
    Frau Holle nickte.
    »Was war los heute morgen?« fragte Willi.
    »Gar nichts war los«, sagte Frau Holle. »Was soll denn los gewesen sein?«
    »Ich hab den Major gesehen«, sagte Willi. »Der ist 'ne Type.« Frau Holle wollte gerade sagen: Der war 'ne Type - aber dann fiel ihr ein, daß Willi bestimmt nicht aus dem Guckloch bis zum Kanonenofen sehen konn-te, wo der Tote lag, und deshalb sagte sie nur: »Ja, der ist 'ne Type.«
    »Hat lange geschlafen heut' morgen«, sagte Willi.
    »Hat zuviel getrunken«, sagte Frau Holle. »Unsereins macht sich ja nichts aus Whisky.«
    »Ja«, sagte Willi, »- wenigstens nicht so. - Ist er schon weg?«
    »Ja, der ist weg«, sagte Frau Holle. »Hat sich wegge schlichen. Hatte wahrscheinlich Angst.«
    Willi grinste und blies ihr den Rauch ins Gesicht. Er sagte: »Die Non-Fraternization-Bestimmung!«
    »So was Ähnliches«, sagte Frau Holle. Sie zupfte an ihrem Kleid, starrte eine Zeitlang schweigend auf sein Fahrrad, erzählte ihm dann kurz, daß sie einen Brief bekommen habe - von dem Kerl mit den Froschaugen- und daß der Grüße von ihrem Günter bestellen woll-te. Dann ging sie davon, humpelnd, mit dem leeren Eimer schlenkernd - zur großen Pumpe in der Fleischerstraße.
    Nachdem Frau Holle verschwunden war, tauchte der Mann mit den Froschaugen auf. Willi Holzhammer bemerkte ihn erst, als er vor ihm stand: zerknüllter Anzug, hager, froschäugig - einen alten Sack auf dem Rücken.
    »Na«, sagte Max Schulz. »Da sind wir ja

Weitere Kostenlose Bücher