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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Identität.«
    »Was ist das - eine andere Identität?«
    »Wenn sich einer verwandelt«, sagte Max Schulz.
    »So wie ein Zauberkünstler«, sagte Frau Holle.
    »So ähnlich«, sagte Max Schulz.
    »Günter hatte mir alles erzählt... wie ihr dort in Laub walde ... in diesem Konzentrationslager oder wie das so heißt ... in diesem Laubwalde ... wie ihr die Leute dort umgebracht habt ... 200 000, hat er gesagt ... 200 000 Juden ... das hat er gesagt.«
    »Das hätte er Ihnen gar nicht erzählen dürfen. Das war streng verboten ... wir hatten alle Schweigepflicht ... auch Günter. Und man hatte uns das eingeschärft: strengste Geheimhaltung!«
    »Aber ich war doch Günters Frau ...«
    »Es dürfe niemand davon wissen ... das hatte man uns gesagt: Auch nicht eure Frauen und Kinder. Niemand!«
    »War denn das Morden verboten?«
    »Nein«, sagte Max Schulz. »Das war nicht verboten. Nur die Weiterverbreitung falscher Gerüchte ... das war verboten!"
    »Aber das waren doch keine falschen Gerüchte?«
    »Jetzt halten Sie endlich das Maul«, sagte Max Schulz. »Das war so. Ich kann's nicht ändern.«
    »Der Günter«, sagte Frau Holle ... »der war ein ganzer Kerl.«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Und Günter hat immer gesagt: ›Der Max Schulz. Das ist auch ein ganzer Kerl.‹«
    »Das war einmal«, sagte Max Schulz.
    »Alles hat er erzählt ... mein Günter ... auch von den langen Gräben ... und wie die Gefangenen hineinpurzelten ... einer auf den anderen ... ›Und der Max Schulz‹, hat Günter gesagt ... ›der Max Schulz ... der saß gewöhnlich auf dem Rand des langen Grabens ... das Gewehr über'm Knie ... 'nen Zigarettenstummel im Mund ... meistens schräg ... festgeklebt‹ ... das hat der Günter gesagt ... ›und gegrinst hat der ... der Max Schulz ... der hat immer gegrinst. Er hat die Leute grinsend erschossen.‹«
    Max Schulz nickte. Er nahm sich noch eine Camel, zündete sie an, streichelte den Beinstumpf der alternden Frau, streichelte das haarige graue Dreieck, zupfte ein bißchen daran, kratzte sich, kratzte sich am Hintern, dachte wieder: das juckt nicht mehr ... das war einmal.
    »Wir hatten verschiedene Methoden«, sagte Max Schulz. »Manchmal erschossen wir die Gefangenen ste hend ... vor dem langen Graben stehend ... in einer Reihe stehend ... die guckten in den langen Graben, und wir erschossen sie von hinten. Manchmal guckten die uns auch an, und wir erschossen sie von vorn. Zuweilen ließen wir sie lebendig in den Graben sprin gen, befahlen ihnen, sich lang hinzulegen, und erschossen sie von oben. Das war meine Spezialität. Von oben nach unten. Vom Grabenrand. Wenn einer tot war, dann legte sich der nächste auf ihn rauf. Nur mußte das schnell gehen. Einer nach dem anderen.«
    »Die ersten Juden legte ich auf einem Friedhof um ... in Polen ... 1939 ... auf einem jüdischen Friedhof ... aber das waren nicht viele. Wir machten das meistens auf dem Friedhof ... damals ... in Polen ... im Jahre 39.
    Einmal trieben wir die Juden auf einen christlichen Friedhof. Und da hing ein kleiner Jesus an einem der Kreuze. Und der heulte. Und das konnte mein Untersturmführer nicht vertragen. Und ob Sie's glauben oder nicht ... den schoß er vom Kreuz herunter. Aber der war nicht gleich tot. Der wollte nicht sterben. Und da sagte mein Untersturmführer zu mir: ›Max Schulz! Machen Sie den falschen Heiligen endlich mundtot. Sie können das besser!‹ - Und das hab ich dann auch gemacht.«
    Frau Holle stieß seine Hand von dem Beinstumpf weg, sagte: »Hören Sie auf mit dem Gezupfe!« - sagte: »Sie sind ein Spinner! Das glaub ich nicht ... das mit dem Jesus. Aber das andere ... das glaub ich.«
    »Und später ging's nach Rußland«, sagte Max Schulz ... »mit der Einsatzgruppe D in den südrussischen Abschnitt. Dort fingen wir die Juden wie die Hasen. Und auch dort waren lange Gräben. - Und 1942 ... ja ... da hatte ich einen leichten Herzinfarkt... und wurde dann nach Laubwalde versetzt. So war das.«
    »Laubwalde!«
    »Ja, Laubwalde. Das Vernichtungslager ohne Gaskammer.«
    »Ohne Gaskammern?«
    »Ohne Gaskammern!«
    »Und dort lernten Sie Günter kennen?«
    »Ja, dort«, sagte Max Schulz. »Aber das wissen Sie doch!"
    »Ja«, sagte Frau Holle »... ich wollt's aber nochmal wissen.«
    »Stimmt das ... daß Sie früher mal Friseur waren?«
    »Das stimmt.«
    »Ein richtiger Friseur?«
    »Ein richtiger.«
    »Und wo war das?«
    »In Wieshalle. Vor dem Kriege.«
    »Dann könnten Sie mir gelegentlich mal die Haare

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