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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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wieder.«
    »Was ist das für ein komischer Sack?« fragte Willi Holzhammer. »Den haben Sie gestern nicht dabei gehabt.«
    »Den hatte ich versteckt«, sagte Max Schulz - »in den Ruinen.«
    »Was haben Sie da drin?«
    »Das geht dich 'n Dreck an«, sagte Max Schulz.
    »Alte Klamotten, was?« grinste Willi.
    »Das geht dich nichts an«, sagte Max Schulz.
    Max Schulz schlurfte zu den Kellerfenstern, um zu sehen, ob Frau Holle zu Hause war, aber die Fenster waren verhängt und er konnte nichts sehen.
    »Die ist zur Pumpe gegangen«, sagte Willi jetzt zu Max Schulz.»- und die Fenster sind noch verhängt - und ich weiß nicht warum!«
    »Na ja«, sagte Max Schulz, »das macht nichts. Ich kann ja hier warten, bis sie zurückkommt.«
    Max Schulz setzte sich auf die Türschwelle, klemmte den alten Sack zwischen die Beine, holte eine Camel aus der Tasche, zündete sie an. Willi stellte sein Fahrrad an die Hausmauer, klappte die Deckel der Werk- und Flickzeugschachtel zu, rückte sie mit dem Fuß neben das Fahrrad und setzte sich neben Max Schulz. »Wenn Sie eine tauschen wollen? Eine Philip Morris für eine Camel?"
    »Gut«, sagte Max Schulz. »Warum nicht. Dieselbe parfümierte Scheiße.«
    »Frau Holle hat mir erzählt, daß Sie Grüße von Günter bringen. Stimmt das?«
    Max Schulz kniff die Froschaugen zusammen und lachte. »Das war nur ein schlechter Witz - das mit den Grüßen. Günter ist nämlich tot.«
    »Das glaub ich nicht«, sagte Willi Holzhammer.
    »Doch«, sagte Max Schulz. »Das kannst du mir ruhig glauben. Der ist tot wie ein Stein. Den haben die Partisanen erwischt.«
    »Wie war das?« fragte Willi.
    »Einfach so«, sagte Max Schulz. »So war das.«
    »Na ja«, sagte Willi. »Die wird einen schönen Schreck kriegen, die Frau Holle.«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Und wie war das?« fragte Willi Holzhammer - »das mit dem: einfach so!«
    »Dem fehlt die Schädeldecke«, sagte Max Schulz. »Und dem fehlt der Schwanz. Den haben ihm die Partisanen abgeschnitten. Damals im verschneiten polnischen Wald.«
    »Einfach so«, sagte Willi.
    »Ja, einfach so«, sagte Max Schulz.
    Sie sahen Frau Holle jetzt an der Straßenecke auftauchen, den Wassereimer in der rechten Hand, mit der lin ken winkend. Max Schulz winkte ebenfalls und lachte.
    »Waren Sie auch bei der SS?« fragte Willi.
    »Nein - ich nicht«, log Max Schulz. »Ich war bloß bei der Wehrmacht. Und auf dem Rückzug durch Polen, da stießen wir auf die Einheit von Günter Holle. Oder eigentlich: seine Einheit, die stieß auf unsere. Ich kannte ihn von früher. Flüchtig.«
    »Ach so«, sagte Willi Holzhammer.
    »Ja, so war das«, sagte Max Schulz.
7.
    Während Frau Holle in nervöser Hast das Bett machte, so, als schäme sie sich vor Max Schulz, dann zum Küchentisch humpelte und ihn aufgeregt sauber wischte ... saß Max Schulz schweigend auf der Kohlenkiste, rechts neben dem Kanonenofen. Er hatte den Sack in der Nähe der Tür hingestellt, dann seine verschwitzte Jacke ausgezogen und sie achtlos auf den Sack gelegt. Warum hatte Frau Holle die Fenster verhängt? Es dau erte eine Weile, bis sich seine Augen an das Halbdunkel der Kellerwohnung gewöhnt hatten. Ein großes Messingbett, dachte Max Schulz, ein Bett, in dem eine alternde Frau schläft - ein einsames Bett - und ein Küchentisch, eine Kiste mit einer Lesekerze, zwei wacklige Stühle am langen Ende des Küchentisches, zwei niedrige Kellerfenster ... in einer Ecke - ein alter Kleiderschrank und ein halbblinder Wandspiegel. Erst als Max Schulz den Kopf ein wenig nach rückwärts wandte, bemerkte er die nackte Leiche hinter dem Kanonenofen. Max Schulz zuckte nicht zusammen. Er kratzte sich bloß, kratzte sich am Hintern, dachte: das juckt nicht mehr - das war einmal ...«
    Max Schulz versuchte, Frau Holle klarzumachen, daß ›das mit den Grüßen von Günter‹ bloß ein schlechter Witz gewesen sei - und das Günter tot war - nämlich: tot! - und zwar: tot wie ein Stein! - ohne Schädeldeckeund ohne Schwanz im polnischen Wald gelegen hatte - nicht besser als ein Stein - obwohl ein Stein keine Schä deldecke hatte und auch keinen Schwanz - aber immerhin: und doch: tot wie ein Stein!
    Frau Holle schien das nicht gleich zu kapieren. Und als sie es endlich kapierte, da heulte sie nicht gleich los. Sie riß zuerst die Augen auf, und zwar: ganz weit auf. Und erst dann heulte sie los.
    Max Schulz hatte auf seine Armbanduhr geschaut. Als Frau Holle zu heulen begann, da war es genau 10 Uhr 12 und 33 Sekunden.

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