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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Tag!
    Schade, dachte Max Schulz ... schade, daß man's nur von unten sehen kann ... und nicht von oben ... aber das hier ist ein verdammter Keller.
    »Weißt du«, hatte sein Stiefvater Slavitzki mal zu sei ner Mutter gesagt, »weißt du, Minna ... wenn wir mal reich sind, dann werden wir aus dem Keller ausziehen. Ein Keller, Minna, das ist nichts für einen Friseur. Das ist was für einen verdammten Schuster. Der guckt näm lich gern zum Kellerfenster raus. Der zählt die Schuhe der Leute, die draußen vorbeigehen. Der guckt sich die Absätze an und Sohlen mit und Sohlen ohne Löcher ... Aber das ist nichts für einen Friseur. Ein Friseur ... Minna ... der soll über der Straße wohnen.«
    Sie zogen den Toten an. Frau Holle half ihm dabei.
    »Glauben Sie, daß Willi was von dem Toten weiß?« fragte Max Schulz.
    »Der glaubt ... der Major hätte sich längst aus dem Staube gemacht.«
    »Und das Guckloch in der Zimmerdecke?"
    »So weit kann er nicht sehen ... ich meine ... bis hier her zum Kanonenofen.«
    »Dann ist also alles in Ordnung«, sagte Max Schulz.
    Sie lehnten den fix und fertig angezogenen Major an die lange Wand, nicht weit vom Fußende des großen Messingbettes.
    »Wegen der Ofenhitze«, sagte Max Schulz. »Besser nicht mehr so nah am Ofen. Ich mache nämlich bald wieder Feuer.«
    »Sind Sie schon wieder hungrig?«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Wissen Sie«, sagte Max Schulz, als es draußen bereits dunkel war, »ich hab's mir überlegt.«
    »Was haben Sie sich überlegt?«
    »Das ... mit dem Toten. Zu auffällig. Besonders jetzt am Abend.«
    »Dann hätten wir ihn doch am hellichten Tag wegschaffen sollen, was?«
    »Nein«, sagte Max Schulz. »Das auch nicht. Am besten kurz vor Tag. In der Morgendämmerung, wenn die Leute zur Arbeit gehen. Da fällt ein Mann mit einem Paket auf dem Rücken am wenigsten auf.«
    »Also morgen in aller Früh?«
    »Ja«, sagte Max Schulz.
    »Dann brauchen wir ihn jetzt nicht einzuwickeln!«
    »Das hat Zeit. Die Rolle Packpapier läuft uns nicht weg.«
    »Gut«, sagte Frau Holle.
    »Wenn Sie vielleicht einen Bindfaden hätten«, sagte Max Schulz, »dann geben Sie ihn mir gleich jetzt, damit wir morgen früh nicht erst lange zu suchen brauchen.«
    »Bindfaden hab ich«, sagte Frau Holle. »Aber wozu wollen Sie ihn zubinden?«
    »Nur im Falle von starkem Wind«, sagte Max Schulz, »damit das Packpapier nicht wegflattert.« »Ach so«, sagte Frau Holle.
    Max Schulz zerkleinerte wieder Holzklötzchen, räumte das Ofenloch aus, trug den Karton mit Kohlenresten und Asche hinters Haus, pinkelte im Dunkeln, zielte aufs Geradewohl gegen Geröll und Mauerreste, starrte den Himmel an, suchte den Großen Bären, konnte ihn nicht finden, sah aber die Milchstraße, wünschte sich weit fort...
10.
    »Am 19. Januar 1945 war der Krieg für uns beide zu Ende«, sagte Max Schulz, »für mich zu Ende und auch für Günter. Günter lag tot auf dem verschneiten Waldweg ... in dem verdammten polnischen Wald ... und ich ... ich rannte, als säße mir Väterchen Stalin persönlich im Nacken ... rannte irgendwohin in den Wald hinein ... wollte am liebsten in die Erde versinken ...«
    Frau Holle kaute mit vollen Backen. Sie hatte die Reste der Salami und Eier nochmals aufgewärmt, noch zwei Dosen Cornedbeef geöffnet, das Cornedbeef gebraten ... ein bißchen zuviel ... fast verkohlt ... aber anscheinend störte das Max Schulz nicht, denn Max Schulz schien gar nicht zu merken, was er in den Mund steckte. Er starrte fortwährend zum Fenster.
    »Und was war das für ein Wald?« fragte Frau Holle.
    »Ein polnischer Wald«, sagte Max Schulz.
    »Und wie sieht so ein polnischer Wald aus?«
    »So wie ein polnischer Wald aussieht«, sagte Max Schulz. »So sieht der aus.«
    »Erzählen Sie mir doch, wie das war ... an jenem Tag, als der Krieg zu Ende war.«
    »Er war noch nicht zu Ende«, sagte Max Schulz. »Nur für mich war er zu Ende. Und für Günter. Auch für die anderen von der SS in Laubwalde. Und auch für die Gefangenen. Dort!«
    »Dann erzählen Sie mir das!"
    »Später«, sagte Max Schulz. »Später erzähl ich Ihnen alles.«
    »Und noch mehr?«
    »Und noch mehr«, sagte Max Schulz.
    Sie waren beide ein bißchen betrunken, hatten eine Flasche Whisky geleert, stießen auf das Wohl des Majors an, hielten Händchen über dem Küchentisch ...
    Der Major starrte sie aus weitoffenen Augen an, saß stumm an der langen Wand am Fußende des Messingbettes.
    »Man müßte ihm die Augen zudrücken«, sagte

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