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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Frau Holle das Essen bereitete, den Tisch deckte, die Badewanne holte, sich zwischendurch verstohlen kämmte, am Holzbein kratzte, vor sich hin kicherte ... holte Max Schulz Wasser von der großen Pumpe in der Fleischerstraße.
    Er ging einigemal hin und zurück, brachte mehrere Eimer, füllte Frau Holles Kochtöpfe, füllte dann die runde Sitzwanne, zog sich aus und stieg ins Badewasser ...
    Frau Holle seifte ihm den Rücken mit Kernseife ein und sagte: »So ... stehen Sie mal auf!« Und Max Schulz stand auf, triefte, dampfte, ließ sich von Frau Holle auch den Bauch einseifen und die Beine, sagte: »Meinetwegen auch den Hintern und das lange Ding.«
    Frau Holle sagte: »Das ist gar nicht so lang. Das ist normal«, und fragte: »Was ist eigentlich mit den Goldzähnen? Krieg ich auch was ab davon?«
    »Kriegen Sie«, sagte Max Schulz. »Aber die muß ich erst mal verkaufen. Ich werde Sie schon nicht ohne Geld lassen.«
    »Und wenn Sie untertauchen?« fragte Frau Holle. »Werden Sie mich mitnehmen? Ich könnte für Sie kochen ... könnte auf Sie aufpassen ... und so schlecht bin ich doch nicht im Bett ... wie? Und ich bin nicht anspruchsvoll... werde Ihnen auch nicht zur Last fallen ... und wenn Sie mal 'ne jüngere haben ... das kann ich verstehen ... und ich sag' Ihnen nichts ... aber ich will nicht allein bleiben ... und Sie können mit mir machen, was Sie wollen.«
    »Zum Beispiel?« fragte Max Schulz.
    »Sie dürfen mich auch prügeln.«
    »Auch Hündchen spielen?« fragte Max Schulz.
    »Auch Hündchen spielen!« sagte Frau Holle.
    »Und wie werden Sie das machen ... mit einem Bein?«
    »Das lassen Sie meine Sorge sein«, sagte Frau Holle.
    »Sie hätten dem Willi nicht erzählen sollen, daß ich Grüße von Günter bringe. Der fragte nämlich, ob ich auch bei der SS war.«
    »Und was haben Sie ihm gesagt?«
    »Daß ich nur bei der Wehrmacht war. Und daß ich Günter zufällig traf ... im polnischen Wald ... und daß ich ihn flüchtig gekannt hätte ... früher.«
    »Ich hab dem Willi sonst nichts von Ihnen erzählt.«
    »Gut«, sagte Max Schulz. »Und wenn er Sie wieder fragt, dann bleibt es dabei: ich war bloß bei der Wehrmacht.«
    »Ja«, sagte Frau Holle.
    Auch Frau Holle nahm ein heißes Bad ... im Schmutzwasser von Max Schulz. Es machte ihr Spaß, in seinem Wasser zu baden. Sie ließ sich von Max Schulz einseifen, machte verliebte Augen, guckte ihn groß an, vermied aber seine Augen ... da störte sie irgendwas ... das waren keine Menschenaugen ... das waren Froschaugen.
    Nachher aßen beide mit Heißhunger, ließen es sich so richtig schmecken, tranken Whisky, redeten Unsinn, sprachen auch über ernste Dinge, sprachen vor allem: von einem neuen Leben.
    »Und wie ist das mit den 6 Millionen Juden?« fragte Frau Holle. »Das stand doch in der Zeitung. Hat der Willi gesagt. Bestimmt alles Schwindel?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Max Schulz.
    »Es waren bestimmt nur 2 Millionen«, sagte Frau Holle.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Max Schulz.
    »Oder 3 oder 4. Es könnten vielleicht auch 5 gewesen sein. Aber bestimmt keine 6!«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Max Schulz.
    »Glauben Sie ... es könnten doch 6 gewesen sein?«
    »Vielleicht«, sagte Max Schulz. »Möglich ist das schon. Ich hab sie nicht gezählt.«
    Max Schulz hatte zu schnell gegessen und kriegte Bauchschmerzen. »Wo ist hier eigentlich ein Klosett?«
    »Das ist ausgebombt«, sagte Frau Holle. »Ich gehe immer hinters Haus.«
    »Dann geh ich jetzt mal hinters Haus«, sagte Max Schulz. Max Schulz schlurfte hinaus ... und als er nach einer Weile wiederkam, sagte er zu Frau Holle: »So. Jetzt wird Max Schulz ein Nickerchen machen.«
    »Legen Sie sich ruhig hin«, sagte Frau Holle, »ich werde inzwischen abwaschen und dann auch raufgehen in die Wohnung über uns, um die Wanne zurückzubringen. Lassen Sie sich nicht stören.«
    »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen«, sagte Max Schulz, »in der Mozartstraße übernachtet ... in einer Ruine ... hatte die ganze Zeit Angst, daß einer die Zähne klaut.«
    »Ja«, sagte Frau Holle. »Legen Sie sich ruhig hin. Ich wecke Sie dann schon auf, wenn's Zeit ist, um die Leiche fortzuschaffen."
9.
    Max Schulz schnarchte wie eine Kreissäge ... und als er erwachte, aufstand, zum Fenster schlurfte, die Decken beiseite schob, konnte er sehen, daß das Ruinenfeld gegenüber in Flammen stand. Aber das war eine optische Täuschung. Sonnenuntergang. So würde vielleicht die Welt aussehen ... am letzten

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