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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Frau Holle. »Ich kann das nicht vertragen. Den Blick! Als ob er noch 'ne 8. Nummer schieben wollte!«
    »Wir haben den Toten nie die Augen zugedrückt«, sagte Max Schulz ... »das haben wir nie gemacht. Außerdem ist der Major schon zu lange tot. Das geht jetzt nicht mehr.«
    Max Schulz stand auf und torkelte zu dem Toten hinüber, betrachtete bloß die weitoffenen Augen, rührte ihn aber nicht an, torkelte dann wieder zum Küchentisch, setzte sich auf den Stuhl, Frau Holle gegenüber.
    »Und wie war das in dem polnischen Wald?« fragte Frau Holle.
    »Ja ... wie war das eigentlich ...«, sagte Max Schulz. Max Schulz stützte den Kopf schwer in die Arme, schien zu dösen, rollte die Froschaugen dann aufwärts, guckte Frau Holle an, lauschte auf Geräusche ... von der Straße und vom Erdgeschoß über dem Keller ... hob dann wieder den Kopf, setzte die Flasche an den Mund, netzte bloß die Lippen, schien plötzlich wieder munter zu wer den, sagte: »Ja ... wie war das eigentlich ...«
    »Ja, wie war das...«, sagte Frau Holle. Sie beugte sich neugierig nach vorn, hatte plötzlich Angst vor seinen Froschaugen, lehnte sich wieder zurück, bohrte bedächtig in der Nase, beobachtete Max Schulz, spürte,daß die Angst schwand, dachte: Ach ... das war einmal ... der tut niemandem was ... das sind nur Froschaugen ... die waren gefährlich ... jetzt nicht mehr ... aber 'ne Nummer hätt' ich noch gern mit ihm geschoben ... vielleicht später ... der kann das gut ... und gemütlich ist's im Keller ... und das Kerzenlicht ... so richtig gemüt-lich ... wenn auch 'n bißchen gruselig ... aber das hab ich gern ... und der Tote hat die Augen offen ... aber das stört mich nicht mehr ... und ich möchte gern wissen, wie die Goldzähne aussehen ... ob er mich mal gucken läßt? ... und gemütlich ist's ... und satt bin ich ... und ich fühle mich wohl ...
    »Ja ... und das war so«, sagte Max Schulz. »Am Tag zuvor. In Laubwalde:
    Da kriegte ich plötzlich Bauchschmerzen. Und ich sagte zu meinem Untersturmführer - ›Untersturmführer! Ich melde gehorsamst, daß ich die Gefangenen nicht erschießen kann. Weil ich Bauchschmerzen habe!‹
    Und mein Untersturmführer sagte - ›Dann scheißen Sie sich gefälligst aus. Aber schnell!‹
    Und ich sagte - ›Das hab ich bereits getan. Aber das nützt nichts.‹
    Und mein Untersturmführer sagte - ›Was ist los, Max Schulz ?‹
    Und ich sagte - ›Weil Warschau gefallen ist!‹ «
    Max Schulz grinste Frau Holle vielsagend an, griff nach der Whiskyflasche, trank aber nicht, stellte die Flasche zurück auf den Küchentisch, bemerkte, daß ›was‹ an seiner Unterlippe klebte ... kalt ... tot ... schräg ... ein Zigarettenstummel ... nahm ihn zwischen die Finger, zerkrümelte ihn achtlos, leckte seine Lippen ...
    »Warschau war gefallen. Die Russen standen vor Krakau, Lodz und Tilsit ... und zirka 20 Kilometer vor dem Konzentrationslager Laubwalde. Im Lager war alles in Auflösung begriffen. Die SS packte. Wir waren 112 Mann. Und jeder von uns war von einem einzigen Gedanken besessen: Abhauen! Ehe die Russen hier sind! Abhauen! Nach Deutschland!« Max Schulz griff nach einer Camel, suchte nach Streichhölzern. Frau Holle schob sie ihm zu.
    »Ja, so war das«, sagte Max Schulz. »5 Lastautos stan den bereit. Wir mußten fort. Und die Gefangenen konnten wir nicht mitnehmen. Es waren nicht mehr viele da. Und die, die noch da waren, die sollten erschossen werden.
    Die Gefangenen schleppten Kisten zu den Lastautos und luden sie auf. Wir konnten nicht allzuviel mitnehmen: Lebensmittel, Munition, auch eine Kiste mit Schmuck und eine Kiste mit den Goldzähnen der Toten, Reste nur, die aus Zeitmangel nicht mehr ins Reich geschickt werden konnten. Ja, so war das«, sagte Max Schulz. »Als die letzte Kiste aufgeladen wurde -und das war die Kiste mit den Goldzähnen - da passierte ein Unfall. Die Kiste fiel auf den Boden und zerbrach, und die Goldzähne kullerten heraus. Ich stand neben den Lastautos und paßte scharf auf, obwohl ich Bauchschmerzen hatte. Aber ich biß die Zähne zusammen - meine Zähne - denn das hatten wir ja gelernt.
    Also, so war das. Die Goldzähne kullerten auf den Boden. Eine andere leere Kiste war nicht aufzutreiben. Hatten wir nicht. Und so befahl ich einem Gefangenen, ein paar Pappkartons herbeizuschaffen. - Aber wozu erzähl ich Ihnen das. Das ist unwichtig. Das war eben so. Die Goldzähne wurden dann aufgelesen, in einige mittelgroße Pappkartons gefüllt und schließlich

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