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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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starrten beide hinaus in die Dunkelheit. Ich klappte die Hacken zusammen und brüllte: ›Es werde Licht!‹
    Ich brüllte: ›Es werde Licht!‹
    Ich brüllte: ›Es werde Licht!‹
    Aber nichts geschah. Und da begann die Alte zu lachen, taumelte zum Küchentisch, wo die Petroleumlampe stand, machte Licht, hielt die Lampe hoch, über den zahnlosen Mund, lachte aus vollem Halse, schlurfte dann zu der großen schwarzen Truhe, die unter dem Fenster stand, öffnete sie, holte eine Reitpeitsche heraus, lachte noch immer, lachte ihr meckerndes, seltsames Lachen, beruhigte sich dann allmählich, sagte krächzend zu mir: ›Ich kann mit dir machen, was ich will! Ich kann dich anzeigen! Ich kann dich verhungern lassen!‹
    Und ich sagte: ›Ja, das kannst du. Aber das wirst du nicht tun!‹ ›Doch‹, sagte sie, ›das werde ich tun, wenn du nicht machst, was ich will.‹
    ›Ich mache, was du willst‹, sagte ich.
    ›Ich habe noch nie einen Gott geprügelt‹, sagte die Alte.
    ›Und ich möchte gerne mal einen prügeln.‹
    ›Einen Gott?‹ fragte ich.
    ›Einen, der einer war‹, sagte die Alte.
    Und dann hob sie die Reitpeitsche und krächzte: ›Los! Hosen runter! Aber schnell!‹
    Das Leben in Veronjas Haus war eintönig. Dreimal täg lich: roten Borschtsch, Kartoffeln, Brot, Wodka und P rügel. Veronja mochte uralt sein, aber sie hatte Hexen kräfte. Sie prügelte mit Wucht und Präzision, stieß ihr meckerndes Lachen aus, wenn ich aufheulte, schien nie zu ermüden, schlurfte auf ihren alten Beinen schneller als ich rennen konnte, folgte mir unter den Küchentisch, unter die Bank, unter den Herd ... auch unter das hölzerne Bett im anderen Zimmer. Ich konnte eine Menge aushalten, aber zuweilen verlor ich das Bewußt sein. Nach der Prügelstrafe pflegte Veronja gewöhnlich einen der Waschtröge mit eiskaltem Schneewasser zu füllen. Ich mußte mich dann hineinsetzen, weil Veronja behauptete, daß sich die offenen Wunden auf diese Weise schneller zusammenzogen. Ich war überzeugt, daß Veronja mich totschlagen wollte und es nur deshalb nicht tat, um mich länger genießen zu können.
    Ich hatte vom ersten Tag an schlecht geschlafen, aber das wurde noch schlimmer, seit Veronja spitze Nägel in die Liegefläche der Küchenbank - meinem Bett - geschla gen hatte und mir verbot, dieselben wieder herauszuziehen. Zuweilen fand ich in der Früh Glassplitter oder ver bogene, rostige Nägel in meinen Stiefeln, oft auch, während der gemeinsamen Mahlzeiten, in der Suppe.
    Aber Veronjas Mordgelüste sollten noch schlimmer werden. Das alles war erst ein Anfang.
    Ab und zu kriegten wir Besuch. Viele Partisanen waren nicht gleich ins Zivilleben zurückgekehrt und hausten nach wie vor im Wald, kamen ab und zu vorbei, um aus dem Brunnen hinter der Kate Wasser zu holen oder sich eine Weile in der stets geheizten Wohnküche zu wärmen. Dann versteckte Veronja mich unter der Strohmatratze im anderen Zimmer. Manchmal kam auch ein Jäger vorbei oder ein Polizist.
    Einmal sogar zwei Soldaten des Iwan. Sie blieben nie lange, und wenn sie fort waren, jagte mich Veronja mit Flüchen und Fußtritten aus ihrem Bett heraus.
    Wie gesagt: Veronjas Mordgelüste sollten noch schlim mer werden. Ich versuchte seit Tagen zu erraten, was sie mit mir vorhatte, kam aber zu keinem Schluß.
    Eines Nachts weckte Veronja mich auf. Sie stand vor meiner Bank, in einen schwarzen Kittel gehüllt, die Petroleumlampe in der Hand. Ihr eisgraues Haar fiel zottig über Schultern und Rücken. Veronja grinste mich tückisch an und befahl mir, ihr zu folgen. Wir gingen ins andere Zimmer. Veronja stieß mich auf die Strohmatrat ze und kniete sich neben mich hin.
    ›Hör zu, Max Schulz‹, sagte sie mit ihrer krächzen den Stimme. ›Das ist ein ernstes Gespräch. Denn die Liebe ... das ist kein Spaß.‹
    ›Was willst du, Veronja?‹ sagte ich ängstlich.
    Ich hatte mich aufgerichtet, aber Veronja drückte meinen Kopf wieder zurück auf die Matratze.
    Sie sagte: ›Ich will wissen, wieviel Nummern du schieben kannst, Max Schulz!‹
    ›Das kommt darauf an‹, sagte ich ausweichend.
    ›Mach jetzt keine Geschichten‹, sagte Veronja, sichdrohend über mich beugend. Ihr erregter, stinkender Atem verursachte mir Übelkeit.
    ›Mit einer Fetten mehr als mit einer Mageren‹, sagte ich stotternd, ›das hängt wahrscheinlich damit zusam men, daß meine Mutter fett war.‹ Ich versuchte von ihr wegzurücken, konnte aber nicht wegen des hölzernen Bettendes. ›Natürlich

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