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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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kommt es auch aufs Alter an‹, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. Je jünger und fetter, desto mehr Nummern ... je älter und magerer, desto weniger. Aber ich habe auch Grundsätze.‹
    ›Was für Grundsätze?‹ wollte Veronja wissen.
    ›Ich schlafe nur mit Frauen unter 75‹ , sagte ich.
    ›So‹ ... sagte Veronja ... ›Grundsätze hast du, ... und wählerisch bist du auch?‹
    Veronja lachte mich aus. Sie befahl mir, liegenzubleiben, ging in die Küche, schürte das Feuer, brühte dann ein seltsames Kräutergetränk, kam wieder zurück und gab mir zu trinken. Ich trank, um sie nicht weiter zu verärgern. Sie konnte mich anzeigen. Sie konnte mit mir machen, was sie wollte. Auf keinen Fall durfte ich sie mir zur Feindin machen. Ich trank, um nicht an ihren stinkenden Atem denken zu müssen, um die Übelkeit zu beseitigen, um den bitteren Nachgeschmack in mei nem Magen mit dem Kräutertee herunterzuspülen. Ich trank aus Angst. Ich trank aus Ekel. Ich trank aus Ohnmacht. Veronja schraubte die Petroleumlampe tiefer herunter und stellte sie neben das hölzerne Bett. Dann schlurfte sie zum Fenster, stand dort eine Weile ... in ihrem schwarzen Kittel... murmelte etwas vor sich hin, bewegte den eisgrauen, zottigen Kopf rhythmisch zu ihrem Gemurmel, preßte die verwitterte Stirn gegen das kalte Fensterglas, guckte mit ihren Stechaugen durch Eisblumen und Glas hinaus in die Winternacht, schien auf das Heulen der Wölfe zu lauschen und auf das Singen des Waldwindes, drehte sich dann plötzlich um, schlurfte zum Bett zurück, dort wo ich lag, meinen Kräutertee bis zum letzten Zug ausgeschlürft hatte, ängstlich, Ekel unter der Haut ... stand vor dem Bett, guckte mich an - Stechaugen und Froschaugen - kletterte auf das Bett, hockte sich neben mich hin, grinste.
    Und dann geschah es. Ich fing am ganzen Körper zu zittern an. Als Veronja das merkte, riß sie mir ruckartig die Hosen herunter, schmiß sie auf den Fußboden ... neben das Bett ... neben die dämmrige Lampe ... pack te meine Schenkel, drückte sie fest an die Strohmatratze, fing selber zu zittern an, prustete, leckte ihre Lippen mit belegter Zunge, ließ klebrigen Speichel tropfen, murmel te irgendetwas, öffnete ihren schwarzen Kittel, beugte sich tiefer über mich, so tief, daß ihre Brüste ... die ver trockneten, schwarzwarzigen ... meine Haut berührten, streichelte meine Knie mit runzeligen Händen, streichel te meine Schenkel, streckte plötzlich die Finger aus, Fin ger mit langen Fingernägeln, Fingernägel mit Trauerrän dern, stieß wie unabsichtlich an mein Glied mit diesen alten Fingern, umklammerte, ließ nicht los ...
    Und draußen heulten die Wölfe. Und der Wind sang in den Bäumen. Und die Nacht schaute ins Zimmer her ein mit erloschenen Augen.
    ›Die Kräuterbrühe‹, sagte Veronja ... ›die weckt die Leblosen auf. Auch den leblosen Frosch zwischen deinen nackten Beinen. So ist das, Max Schulz. Und der wacht jetzt auf. Und häutet sich. Und kann sich ein Frosch häu ten? Aber der kann das. Der häutet sich wirklich. Und wächst. Wie der gefangene Riese in der Flasche.‹
    Ich liebte Veronja die ganze Nacht. Und Veronja gab mir immer wieder Tee zu trinken. Ich erzählte Veronja während der Liebespausen von meinem Herzinfarkt ... in Rußland ... erzählte ihr von den Massenerschießungen ... und das war vor Laubwalde ... das war in Rußland ... in Südrußland ... Einsatzgruppe D im südrussi schen Abschnitt ... sagte zu Veronja: ›Ich bekam einen Herzinfarkt. Ich war das nicht gewohnt... damals noch nicht... so viele auf einmal zu erschießen ... und Frauen und Kinder ... und die Augen ... die Augen, Veronja ... das war zuviel... und ich dachte, es wäre nur vom Rauchen und Saufen ... aber es waren die Augen. Und ich hatte einen Herzinfarkt, Veronja ... damals in Südrußland ... und mein Stabsarzt hat gesagt: Maßhalten! Auch bei den Frauen! Einmal wöchentlich! Und nur eine Nummer! Verstanden! Einmal eins ist eins! - Aber nicht zwei! Und bestimmt nicht drei! Und bestimmt nicht vier! Und bestimmt nicht fünf! Und bestimmt nicht sechs! Und bestimmt nicht sieben!‹
    Aber Veronja wollte mich umbringen.
    Am nächsten Morgen konnte ich kaum auf den Füßen stehen. Es gelang mir gerade noch, mich von dem hölzernen Bett bis zu meiner Bank in der Küche zu schleppen. Dort brach ich röchelnd zusammen. Aber das war noch kein Herzinfarkt, obwohl ich Atemnot hatte und ein seltsames Schwächegefühl in den Kniekehlen.
    Veronja machte Tee für mich

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