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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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brachte der Wind das Echo dumpfer Axtschläge zu uns, das schrille Kreischen von Holzsägen und das Krachen niedergeschlagener Bäume. Dann pflegte Veronja zu sagen: ›Das sind die Holzfäller. Die fällen die Bäume im Wald, alle Bäume im Umkreis des Konzentrationslagers Laubwalde ... alles im Umkreis von 7 Kilometern.‹
    Und ich fragte: ›Warum machen sie das?‹
    Und Veronja sagte: ›Wegen der bösen Geister, die sich in den Blättern der Bäume einnisten.‹
    ›Die Bäume haben keine Blätter‹, sagte ich. ›Die Bäume sind noch kahl.‹
    ›Die kriegen wieder Blätter‹, sagte Veronja. ›Bald werden die Bäume ausschlagen, wenn die Holzfäller nicht schnell genug sind.‹
    ›Und wo sind die Geister jetzt?‹ fragte ich.
    ›Die schlafen in den Baumrinden‹, sagte Veronja. ›Aber im Frühling erwachen sie wieder ... und klettern auf die Blätter und nisten sich dort fest.‹
    Das Wetter wurde zusehends wärmer. Es taute überall. Rings um Veronjas Kate lag noch immer Schnee, aber der war wie eine Pappdecke, die sich von Tag zu Tag enger an die Erde schmiegte, sozusagen: von innen zu schmelzen schien, als wollte sie auseinanderfallen. Stellenweise sah ich schon breite Pfützen, vor allem vor der Haustür und unter der Dachrinne. Dort, wo die Lichtung war, sprang ein Sturzbach aus dem Wald. Noch waren die Bäume kahl, und auf den Zweigen klebte ein Rest von Schnee, der sich verzweifelt festhalten wollte. Ja. Der Schnee war verzweifelt. Aber die Sonne ... die lachte ... die lachte höhnisch über den verzweifelten Schnee. Der ganze Wald war naß und auch Veronjas Kate.
    Ich hatte mich schon fast ganz erholt, machte um die Mittagszeit kleine Spaziergänge, in meinen Stiefeln natürlich, die fest und wasserdicht waren. Veronja paßte auf, daß ich nicht zu weit fortging, hatte aber sonst nichts dagegen, daß ich zeitweise die Kate verließ.
    Einmal blieb ich mehr als zwei Stunden weg. Ich durchstreifte den Wald, in der Hoffnung, die Stelle wie derzufinden, wo ich die Goldzähne vergraben hatte. Mein Orientierungssinn war immer gut gewesen. Nachdem ich eine Zeitlang herumgeirrt war, sah ich dann auch die mit meinem Taschenmesser markierten Bäume. Ich hatte den Karton mit den Zähnen tief im Schnee eingegraben, aber als ich vor dem Versteck stand, bemerkte ich zu meinem Schreck, daß der Karton keck aus dem Tauschnee hervorsah.
    Ich wußte nicht, was ich machen sollte, stand unschlüssig da, spitzte die Ohren. Der Wald sprach seine eigene Sprache. Die Bäume weinten halblaut vor sich hin, ließen Schneewasser fallen ... tropfenweise ... stemmten sich zuweilen dem Wind entgegen, der keine richtige Kraft mehr hatte, weder sang noch pfiff, sondern säuselte. Es raschelte auch im sterbenden Schnee, und ich vermutete allerlei Getier, obwohl ich nichts sehen konnte. Die Erde hatte fast ausgeschlafen und begann, sich zu recken. Ich unterschied auch schon vereinzelte Vogelstimmen. Aber was mich im Augenblick beunruhigte ... das waren die Axtschläge der Holzfäller. Das kam nicht von weit her!
    ›Max Schulz‹, sagte ich zu mir, ›wenn du eine Schau fel hättest, dann könntest du die verdammten Zähne indie Erde eingraben. Aber das wäre dumm. Denn wenn die Bäume hier gefällt werden ... wie wirst du dann die Stelle wiederfinden? Am besten: du nimmst sie jetzt mit. Paß nur auf, daß die Alte dich nicht sieht. Du kannst die Zähne dann hinter der Kate ins Gebüsch legen ... und nachts ... ja, nachts ... dann wirst du Veronjas große Schaufel nehmen - und die steht in der Dachkammer - und du wirst aus der Kate schleichen ... wenn Veronja schläft ... und dann wirst du die Zähne vergraben.‹
    Ungefähr 100 Meter von Veronjas Kate entfernt verließ ich den geraden Waldpfad, der zur Lichtung führte und versuchte, auf einem Umweg ungesehen hinter die Kate zu gelangen, um dort, im Gebüsch, die Goldzähne zu verstecken. Ich war sicher, daß Veronja mich vom Küchenfenster nicht sehen konnte. Aber ich hatte mich verrechnet. Veronja hatte mich gesehen. Sie wartete im Gebüsch hinter der Kate auf mich, and ich lief ihr fast in die Arme.
    Ich war wie gelähmt ... empfindungslos. Ich stand ihr gegenüber, stumm, ohne Sprache, den Karton auf dem Rücken, und starrte sie an.
    ›War in der Dachkammer‹, sagte Veronja grinsend zu mir, ›und hab dich durch die Luke gesehen.‹
    Ich stotterte irgend etwas.
    ›Was trägst du auf dem Rücken?‹ fragte Veronja.
    ›Meine Sachen‹, sagte ich. Ich faßte mich

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