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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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bestand aus zwei Zimmern und einer Dachkammer. Die Alte führte mich herum. Wir betraten zuerst die große Küche, eine Art Wohn- und Bauernküche mit rohgezimmerten Stühlen und Schemeln, einem viereckigen Tisch, einer langen Bank, einem verrosteten Küchenherd und einem Backofen mit Ofenbank. Unter einem der Fenster stand eine große schwarze Truhe, die wie ein Sarg aussah ... und an den langen Wänden hingen allerlei seltsame Holzschnitzereien und Wandbehänge. Zwischen Küchenherd und Backofen lag ein Bündel Stroh. Und dort sah ich eine Ziege, eine winzige Ziege, nicht größer als ein Lamm. Und die knabberte am Stroh, aber als ich mit der Alten am Herd vorbeiging, wandte die Ziege den Kopf um, guckte mich komisch an, öffnete das Maul und meckerte.
    Im zweiten Zimmer stand nur ein großes hölzernes Bett mit einer Strohmatratze. Sonst war alles leer. Die Dachkammer zeigte mir die Alte nicht, und ich nahm an, daß dort eine Art Heuschober war oder eine Rumpelkammer.
    ›Sie kommen sicher aus Laubwaldes sagte die Alte krächzend zu mir ... ›vom KZ ... 7 km von hier!‹
    ›Nein‹, sagte ich. ›Von dort bestimmt nicht.‹
    ›Sie lügen‹, sagte die Alte. ›Das sehe ich Ihnen an.‹ Und die Alte begann zu lachen. Und das klang wie das Meckern der Ziege.
    Ja, so war das. Und das war so:
    Im Küchenherd flackerte ein gutes Feuer. Die Alte rückte einen Schemel heran, forderte mich auf, Platz zu nehmen, zog mir die Stiefel aus, auch die Strümpfe, schlurfte dann hinaus, brachte eine Handvoll Schneeherein, kauerte sich zu meinen Füßen hin, rieb meine nackten, erstarrten Füße mit Schnee ein, massierte sie, hauchte sie dann an, sagte krächzend: ›Die sind blauge froren ... aber nicht nur die ... auch alles andere ... und jetzt ziehen Sie die Uniform aus ... und auch die Unterwäsche ... alles.‹
    Ich tat, wie mir geheißen. Bald stand ich nackt vor dem Küchenherd. Die Alte brachte mehr Schnee, rieb mich ein, von Kopf bis Fuß, massierte mich tüchtig, sagte: ›Draußen wären Sie erfroren ... was haben Sie für Blut ... ist das Herrenblut? ... das zirkuliert jetzt wieder ... so! ... und jetzt ziehen Sie sich wieder an ... und bleiben Sie vor dem Herd sitzen ... und ich mache was zu essen ... sind Sie hungrig? ... wie lange waren Sie im Wald? ... und wie lange ohne Essen? ... ‹
    ›Seit gestern mittags sagte ich ... ›24 Stunden.‹
    ›Das ist gar nicht so langes sagte die Alte. ›Und dabei sehen Sie ganz verhungert aus. Könnt ihr Kerle nicht mehr aushalten als die Untermenschen!‹
    ›Das weiß ich nichts sagte ich. ›Ich war noch kein Untermensch.‹
    ›Doch‹, sagte die Alte. ›Jetzt sind Sie einer.‹
    Die Alte hatte irgend etwas mit mir vor. Aber ich wußte nicht was. Vielleicht wollte sie mir in der Nacht den Hals durchschneiden? Heute nacht? Oder in einer an deren Nacht? Auf jeden Fall war ich sicher, daß sie mich umbringen wollte! Die Alte lud mich zum Essen ein. Es schmeckte gut. Borschtsch - das ist eine Roterübensuppe - mit Kartoffeln und Bauernbrot. Die Alte aß wenig. Die guckte mir eigentlich nur zu und schien mit ihren wässerigen kleinen Augen zu sagen: Du bist mager! Ich muß dich ein bißchen aufpäppeln!
    Wir wurden schnell per du. ›Du siehst wie ein Jude aus‹, sagte sie, während ich den Mund mit Kartoffeln, Brot und Borschtsch voll hatte. ›Aber ich weiß, daß du keiner bist.‹
    ›Ich bin keiner‹, sagte ich.
    ›Morgen wirst du allein bleiben‹, sagte die Alte. ›Denn morgen geh ich ins Dorf. Hast du schon mal ein polnisches Dorf gesehen?‹
    Ich sagte: ›Ja. Polnische Dörfer ... die kenn' ich zur Genüge.‹
    ›Mein letzter Mann war jünger als ich‹, sagte die Alte. ›Viel jünger! Und der hatte eine Tochter aus erster Ehe. Und die wohnt im Dorf.‹
    ›Und was willst du von dieser Tochter?‹ fragte ich.
    ›Lebensmittel‹, sagte die Alte. ›Ich kriege einmal wöchentlich ein paar Kartoffeln, rote Rüben, Brot, Wodka. Einen Wochenvorrat.‹
    ›Lebst du davon?‹ fragte ich.
    ›Ja‹, sagte die Alte. ›Davon leb ich.‹
    Wir tranken dann Wodka und wurden immer ver traulicher. ›Du kannst jetzt nicht weg‹, sagte die Alte zu mir. ›Du kannst es jetzt im Winter unmöglich schaffen ... bis nach Deutschland. Du wirst im Wald erfrieren. Und wo willst du dir Essen besorgen? Wenn du ins nächste Dorf gehst, dann werden dich die Bauern erschlagen. Oder der Iwan, der wird dich schnappen. Oder die Partisanen. Oder die Polizei. Du kannst jetzt nicht

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