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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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aus!«
    Was soll das heißen? Der Staat Israel existiert doch noch gar nicht. Das ›Reuige Vaterland‹ scheint es eilig zu haben! Und dann: Millionen Überlebender? Die spinnen wohl! Lese: »Jüdische Pioniere durchbrechen englische Blockade!« Lese: »Das Mittelmeer wimmelt von jüdischen Flüchtlingsschiffen. Privatschiffe oder -dampfer werden vor Verkehrsunfällen gewarnt!«
    Lese: »England auf der Wacht! England verweigert jüdischen Heimkehrern Landungsrecht. Gott strafe ...«
    Was soll das heißen? Gott strafe wen? England?
    Während ich noch lese, klopft es: Max Rosenfeld!
    »Haben Sie Streichhölzer, Herr Finkelstein?«
    Ich gebe ihm Streichhölzer. Max Rosenfeld raucht nervös, überfliegt die Schlagzeilen meiner Zeitung, fragt: »Was soll das heißen ... Gott strafe ...?«
    Ich sage: »England! Ist doch klar!«
    Max Rosenfeld nickt, sagt: »Gott strafe England!«
    Er blickt mich herausfordernd an. »Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, Herr Finkelstein ... daß wir den Judenstaat kriegen!«
    Ich sage: »Herr Rosenfeld, der ›Staat Israel‹ existiert schon. Lesen Sie doch das ›Reuige Vaterland‹!«
    »Unsinn! Die übertreiben! Das macht die Reue!«
    Ich sage: »Wir werden den Judenstaat kriegen. Bestimmt! Wir werden die Engländer rausschmeißen! Aber noch nicht dieses Jahr. So schnell schießen weder die Preußen noch die Juden!«
    »Vielleicht im nächsten Jahr?"
    Ich sage: »Ja. Wenn wir beide den Daumen drücken ... Sie, Herr Rosenfeld ... und ich, Itzig Finkelstein ... dann kriegen wir den Judenstaat vielleicht im nächsten Jahr.«
    Mittags hören wir Nachrichten in der Hoteldiele, überhören, was uns nicht interessiert, spitzen die Ohren bei ... Palästina!
    Es regnet wieder mal in Berlin. Heute bleibe ich zu Hause. Der Schwarzmarkt rennt mir nicht davon. Lese am Nachmittag die Extraausgabe des ›Reuigen Vater- lands‹: »Das jüdische Volk rüstet zur letzten Schlacht!«
    Es ist soweit. Max Rosenfeld hat seine Koffer gepackt.
    »Sie wollen also auswandern?«
    »Jawohl, Herr Finkelstein. Nach Palästina.«
    »Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
    Max Rosenfeld blickt mich lange an. Es kommt mir fast vor, als täte ich ihm leid. Er sagt dann nur: »Kommen Sie mit, Herr Finkelstein! Bleiben Sie nicht in Deutschland!«
    Habe die ganze Nacht nicht geschlafen. »Kommen Sie mit, Herr Finkelstein! Bleiben Sie nicht in Deutschland!« - Hat der Herr Rosenfeld nicht recht? Natürlich hat er recht!
    Ich liege wach im Bett. Immer wieder sag' ich zu mir: »Max Schulz! ... Max Schulz!« sag' ich zu mir. »Wenn du in Deutschland bleibst, wird man dich früher oder später schnappen. Denk daran, Max Schulz ... denk daran, daß das geteilte Deutschland von den Siegern und ihren neuen Verbündeten emsig nach alten Nazis durchgekämmt wird. Sicher bist du nirgends. Weder bei den Kommunisten noch bei den Kapitalisten. Du bist die unbequeme Vergangenheit! ›Kommen Sie mit, Herr Finkelstein! Bleiben Sie nicht in Deutschland!‹
    Max Rosenfeld hat recht! Du solltest nach Palästina fahren! In der Höhle des Löwen wird dich niemand suchen!
    Herr Rosenfeld! Wie ist das eigentlich? Was kostet die Überfahrt nach dem HEILIGEN LANDE?«
    »Nichts, Herr Finkelstein. Das wird aus den Fonds der jüdischen Hilfsorganisationen bezahlt. Oder, um mich anders auszudrücken: Die Überfahrt für Sie, Herr Finkelstein, wird vom jüdischen Volk bezahlt! Jawohl, Herr Finkelstein. Vom jüdischen Volk!«
    Habe den alten Mercedes verkauft. Meine Koffer sind auch schon gepackt ... der schweinslederne und einer aus Kunstleder, den mir die Gräfin zum Abschied geschenkt hat. Kunstleder! Eigentlich eine Frechheit!
    Stehe in meinem Zimmer und grinse mich an. Meine Goldzähne glänzen.
    Max Rosenfeld ist ganz aufgeregt. »Sie wollen also mit kommen!« Das ist eine Frage mit einem Ausrufezeichen. Antwort zugleich. Typisch jüdisch.
    Entdecke drei Goldzähne in meinem Taschentuch. Die hatte ich ganz vergessen. Ein Andenken. Ja. Natürlich. Ein kleiner Zahn. Ein mittlerer. Und ein großer.
    Heute wieder was Neues im ›Reuigen Vaterland‹. Große Schlagzeilen: »Bekannter Historiker stellt fest, daß es keine Kollektivschuld gibt! Nicht alle Deutschen schuldig! Es gab Jasager und Neinsager!«
    Andere Schlagzeilen: »Es steht einwandfrei fest, daß die Neinsager von den Jasagern überbrüllt wurden!"
    Andere: »Ihr ›Nein‹ war zu leise!«
    Andere: »Ein bedauerlicher Stimmbandschaden!«
    Sagte zu mir: »Na und? Wer Stimmbandschaden hat,

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