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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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ist mitschuldig! Kann der Max Schulz was dafür, wenn er ihr ›Nein‹ nicht richtig gehört hat?«
    Sagte zu mir: »Laß die Neinsager ruhig für dich büßen, Max Schulz. Das kann dir nicht schaden!«
    Fragte mich heute: »Wer wohnt eigentlich im Hotel ›Vaterland‹ ... außer Herrn Rosenfeld ... und außer Herrn Finkelstein? Sind es die büßenden Neinsager? Oder die büßenden Jasager? Oder sind es die Leute, die damals Ja und Nein gesagt hatten?«
    Sagte zu mir: »Max Schulz! Das sind Haarspaltereien. Strengt zu sehr an. Denk an deinen Dachschaden! Der könnte schlimmer werden!«
    »Übermorgen geht wieder ein Transport ab, Herr Finkelstein. Richtung Marseille. Wir sind bereits auf der Liste, Sie und ich, Max Rosenfeld und Itzig Finkelstein. Hab Gott sei Dank keine Schwierigkeiten gehabt ... als alter Zionist... man kennt mich bei der Organisation ... auch die Leute von der ›Bricha‹ ... jeder kennt Max Rosenfeld ... hab dort einen guten Namen. Na, was sagen Sie dazu! Und sind Ihre Koffer gepackt?«
    »Längst gepackt, Herr Rosenfeld. Nehme sowieso nicht allzuviel mit. Wissen Sie ... ein Jude soll mit leich tem Gepäck reisen. Das hat schon mein Vater gesagt: der Friseur Chaim Finkelstein!«

Viertes Buch
 1.
    Wer hat Itzig Finkelstein erschossen? Den echten Itzig Finkelstein? Damals ... in Laubwalde ... am 7. Septem ber 1942?
    Das große Fragezeichen ... im Finstern ... über meinem Bett... vor meinen Augen ... nicht sichtbar ... und doch so greifbar nah ... schon hab ich's eingefangen ... mit meinen Blicken ... das Unsichtbare ... die Vorstellung ... ich hab's ... da hab ich's ... könnte es aufrollen ... will aber nicht ... könnte das fragende Häkchen umbiegen ... könnte das Zeichen verwandeln in einen Strich. Ich will aber nicht!
    Slavitzki? Was hat mein Stiefvater Slavitzki gesagt?
    »Laß die Ratten Ratten sein!« Das hat er gesagt. Ich aber sage: »Laß die Frage Frage sein!«
    Lieber Itzig. Du weißt nicht, wer dich erschossen hat. Damals in Laubwalde. Du hast ›Ihn‹ ja nicht gesehen. Weil ›Er‹ dich überrascht hat. Weil ›Er‹ nicht wollte, daß du es siehst. Und weil ›Er‹ hinter dir stand. Zwei Schrit te hinter dir.
    Er hat auch deinen Vater erschossen. Den Chaim Finkelstein. Und auch deine Mutter. Die Sara Finkelstein. Er hat euch alle umgebracht.
    Kennst du ›Ihn‹? Weißt du, wer der Mörder ist? Dein Mörder? Und der Mörder deines Vaters? Und der Mör der deiner Mutter? Soll ich dir das Geheimnis verraten?
    Ha? Ich laß dich zappeln! Reiß ruhig deine toten Augen auf! Und spitze deine toten Ohren! Es wird dir nichts nützen. Ich verrate das Geheimnis nicht.
    Lieber Itzig. Es heißt, daß man haßt, was man verleugnen will. Ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, habe immer wie ein Jude ausgesehen ... obwohl das nicht stimmt. Aber man hat es gesagt. Ja, man hat es gesagt: Der sieht wie ein Jude aus!
    Denk mal nach, Itzig. Schon aus diesem Grund hätt' ich euch hassen müssen. Um zu verleugnen, was ich gar nicht bin ... bloß, weil ich Angst hatte, ich könnte es sein. Oder: weil sie glaubten, daß ich es bin, obwohl ich wußte, daß ich es nicht bin. Kapierst du das?
    Na also. Du kapierst das. Ich auch. Trotzdem hab ich euch nicht gehaßt. Sonderbar ... wie? Das stimmt aber. Ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, habe die Juden nie gehaßt. Warum ich euch nicht gehaßt habe? Ich weiß es nicht. Ich stelle nur fest: Ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, habe die Juden nicht gehaßt.
    Was sagst du? Warum ich getötet habe? Ich weiß nicht warum. Vielleicht wegen der Stöcke? Da war mal ein gel ber Stock und ein schwarzer Stock. Und andere Stöcke, farblose Stöcke. Und da waren Hände, viele Hände, die die Stöcke schwangen. Und jeder Stockschlag sauste auf meinen Hintern ... oder auf den Hintern, den sie Seele nennen ... denn die ist auch ein Hintern: die muß manch mal herhalten! Oder: oft! Oder: sehr oft!
    Na also. So war das. Und ich wollte auch mal den Stock schwingen. Oder die Stöcke. Aber anders. Gewaltiger. Kapierst du das? Na also. Du kapierst das.
    So gewaltig und maßlos hätt' ich den Stock oder die Stöcke aber nie schwingen können ... wäre da nicht ein Befehl gewesen. Ein Befehl, der befahl: Schlag zu!
    Verstehst du mich? Ohne Befehl hätt' ich nie gewagt, was ich gewagt hatte. Hätt' mich gar nicht getraut. Denn ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, war nur ein kleiner Fisch, ein ängstlicher, zappelnder, kleiner Fisch,

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