Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
der nur zuschlagen konnte, weil es erlaubt war.
    Wir haben nicht nur Juden umgebracht. Wir brachten auch andere um. Wir haben auch andere erschossen und erhängt und vergast und totgeprügelt ... andere ... die keine Juden waren. Aber ich, Itzig Finkelstein, damals noch Max Schulz, wurde nur bei Judenmorden eingesetzt. Warum? Ich weiß nicht warum.
    Es stimmt. Ich habe selber wie ein Jude ausgesehen ... wenigstens dachten sie das ... und deshalb mußte ich besser töten als die anderen ... mußte ihnen zeigen, daß ich keiner war ... ich meine ... kein Jude war. Kannst du das verstehen? Wieviele ich umgebracht habe? Ich weiß es nicht. Ich hab sie nicht gezählt. Aber glaub mir, Itzig. Ich war kein Antisemit. Ich bin nie einer gewesen. Ich habe bloß mitgemacht.
    Kannst du mich hören, Itzig? Und kannst du mich sehen? Komm! Spiel mit mir! Such mich! Wo bin ich? Wo hab ich mich versteckt?
    Ha, ha, blinde Kuh! Such mich. Komm, such mich. Wo bin ich? In meinem Hotelzimmer? Falsch geraten! In meinem Bett? Ja! Aber nicht in Berlin. Und nicht im Hotelzimmer! Lieber Itzig. Ich habe kein Zimmer. Und mein Bett ist nur eine Schlafstelle, eine Koje ... so ähnlich wie in Laubwalde ... und doch nicht so. Denn ich, Itzig Finkelstein, bin ein freier Mann.
    Ich bin auf einem Schiff. Und das Schiff hat mich gefressen. Nur für die Nacht. Ich liege in seinem Bauch. In einem großen, finsteren Raum. Auf einer Koje. Ja. Hier gibt es auch Kojen.
    Was für ein Schiff? Lieber Itzig. Du bist neugierig. Ein Schiff, hab ich gesagt. Ein jüdisches Flüchtlingsschiff. Na also. Jetzt weißt du's.
    Ich, Itzig Finkelstein oder der Massenmörder Max Schulz, bin seit Tagen auf hoher See. Ich fahre an deiner Stelle nach Palästina. Denn ich bin jetzt du. Ich bin Itzig Finkelstein.
    Lieber Itzig. Erinnerst du dich? Als Kinder ... wir sprachen oft von Jerusalem ...
    Lieber Itzig. Das ist kein Brief. Oder: das sind keine Briefe. Ich schreibe sie nicht mal in mein Tagebuch. Ich schreibe überhaupt nicht. Ich denke bloß. Oder glaube, daß ich denke. Ich stelle mir vor, daß ich an dich schrei be. An wen? An dich! Den Toten!
    Itzig. Komm! Red mit mir. Oder laß mich reden. Hör zu. So ist das. So und so und nicht anders. Fahr mit mir nach Jerusalem. Laß dich mitnehmen. Komm! Hör zu!
    Lieber Itzig. Das war gar nicht so einfach. Nachdem wir euch alle erschossen hatten, brachen wir unsere Zelte ab. Parole: Abhauen! Parole: Jetzt ist's aber genug!
    Die Russen waren nicht mehr weit von Laubwalde. Die durften uns nicht erwischen.
    Ja, lieber Itzig. Das war eine schlimme Zeit. Wir fuh ren mit unseren LKWs durch den verschneiten polnischen Wald. In Richtung Deutschland. Aber dann knallte es im Wald. Die verdammten Partisanen. Die können auch knallen!
    Mich haben die nicht erwischt. Mich nicht. Auch Hans Müller, den Lagerkommandanten ... den kennst du doch, was? ... den haben die auch nicht erwischt. Nur die anderen haben sie erwischt. Sogar den Günter Holle. Aber uns nicht. Nein, uns nicht.
    Was dann los war? Gar nichts war los. Runtergesprungen sind wir. Von wo? Mensch ... blöder Hund ... vom Lastauto! Von wo sonst. Und dann natürlich abgehauen. Einfach so. Ja, so war das. Und kalt war's. In dem verdammten polnischen Wald. Und gerannt bin ich. Und der auch ... der Hans Müller, der Lagerkommandant. Gerannt sind wir, als ob wir 'ne Zündschnur im Arsch hätten. So und so. Gerannt. Jawohl. Wohin? Irgendwohin.
    Und kalt war's, lieber Itzig. Kein Wunder, daß Polen verloren war. Denn dort ist es kalt. Dort frieren einem die Tränen ein und die Spucke, wenn einer das Maul aufreißt. Das ist Polen. Und dort ist der polnische Wald. Der polnische Wald, hab ich gesagt ... der verdammte polnische Wald.
    Was dann passiert ist? Gar nichts ist passiert. Bloß kalt war's. Auch in der Nacht. Sogar noch kälter. Und der Himmel hat gegrinst. In der Nacht. Aber besonders vor Tag. Und den hab ich tüchtig angebrüllt. Aber der hat nur gegrinst. Der Himmel, mein' ich. Gegrinst hat der. Und nicht mehr gehorcht.
    Aus war's. Ja, lieber Itzig. Es war aus. Wir hatten den Krieg verloren. Und ihr habt ihn gewonnen. Die Juden. Aber nicht du. Und auch nicht dein Vater. Und auch nicht deine Mutter. Denn ihr seid tot.
    Ich kann mich kaum erinnern. Ein verschneiter Waldweg im Morgengrauen. Tote Kameraden mit abge schnittenen Schwänzen. Dann ... eine Hütte. Eine einsame Hütte. Oder Kate. Ja. Eine Kate. Eine einsame Kate mitten im polnischen Wald. Und eine Hexe. Die hieß

Weitere Kostenlose Bücher