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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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meine Vorväter. Ich hab mir wirklich Mühe gegeben ... ja, lieber Itzig ... ich hab mir Mühe gegeben, um ihr, der Gräfin, zu beweisen, daß ich, Itzig Finkelstein, allen Grund habe, stolz auf mein Erbe zu sein. Hab's nicht gern, wenn Leute auf mich runtergucken. Das kann ich nicht vertragen. Und ich hab ihr dann auch gesagt: »Sie können mich am Arsch lecken.«
    Und im Hotel ›Vaterland‹ ... dort wurde ich nicht verhöhnt. Aber dort war's noch schlimmer. Die krochen mir zu Füßen mit ihren Schuldgefühlen. Herr Finkelstein hin, Herr Finkelstein her. Nein. Das war nichts für mich. Da hab ich zu mir gesagt: »Du bist nicht mehr Max Schulz. Du bist Itzig Finkelstein. Und der will kein Untermensch sein. Aber auch kein Übermensch. Itzig Finkelstein will ein Mensch sein. Nichts weiter. Ein gewöhnlicher Mensch unter gewöhnlichen Menschen. Kein schwarzes Schaf von unten. Und kein schwarzes Schaf von oben.«
    Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal den Entschluß gefaßt hatte, nach Palästina zu fahren. Auf jeden Fall: ich machte mich mit diesem Gedanken vertraut. Dachte mir: In der Höhle des Löwen wird dich niemand suchen! So war das. Und doch war das nicht der einzige Grund. Heute bin ich mir darüber im klaren, daß ich, Itzig Finkelstein, unter Juden leben möchte, unter meinesgleichen, in meinem eigenen Land ... denn ich, Itzig Finkelstein ... kann mich unter Gojim nicht mehr wohl fühlen. Kannst du das verstehen, lieber Itzig?
    Mein lieber Itzig. Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit euch befaßt... nicht nur mit Ausrottung ... das war ja vorher! ... sondern mit eurer Geschichte: allge mein jüdische und zionistische, alles in Kurzfassung, selbstverständlich ... und ich habe angefangen, mich für eure nationale Sache zu begeistern. Was sage ich? Für eure Sache? Nein. Für meine Sache, die auch die eure ist.
    Hör zu, Itzig. Spitze deine toten Ohren:
    Lichtenberg ist ein jüdisches DP-Lager in der Nähe von Berlin. Dort wimmelt es von Flüchtlingen. Das Lager leert sich ab und zu und füllt sich wieder auf. So ist das. Die Juden sind gut organisiert. Besonders die Zionisten! Wer nach Palästina auswandern will, braucht sich nur mit den Zionisten in Verbindung zu setzen. Die ›Organisation‹ erledigt alles. Sie bringt die Juden aus den Ostgebieten nach Lichtenberg ... und auch in andere DP-Lager ... das kommt darauf an ... um sie zu sammeln ... kapierst du das? ... für die große Reise ... wir haben das ja auch so gemacht, obwohl unsere Ziele ... damals ... und die Ziele der Zionisten ... wie man so sagt ... entgegengesetzter Natur sind.
    Ja, lieber Itzig. Zuerst werden die Juden gesammelt. Und dann weitergeschleust ... über die Sektoren- und Zonengrenzen ... und weiter ... über die französische Grenze ... zuweilen auch über die spanische oder die italienische oder die griechische oder die jugoslawische Grenze ... kapierst du das? Ja ... und dann ... dann bis zum Meer. Welches Meer? Das Mittelmeer. Aber das ist noch längst nicht das Ende der großen Reise. Hier fängt sie erst an.
    Also hör zu:
    Max Rosenfeld und ich - Max Rosenfeld ist ein Freund von mir - also: Max Rosenfeld und ich begaben uns mit leichtem Gepäck nach Lichtenberg ... ließen uns nicht sammeln ... sondern begaben uns selber zu den ›Sammlern‹. In Lichtenberg kriegten wir mexikani sche Visen. Warum? Und ob wir nach Mexiko fahren wollten? Unsinn! Bloß für die Durchreise zur französi schen Küste. Ja. Wir fuhren zuerst mal nach Frankreich.
    War alles ein Kinderspiel. Und kostenlos dazu. Die ›Organisation‹ hat alles für mich erledigt. Auch für Max Rosenfeld. Wir fuhren also mit unseren mexikanischen Visen nach Frankreich. Bis zur Küste. Wo? An welcher Stelle? Ich weiß es nicht. War nur 'ne Stelle. Irgendwo an der Küste. Ich bin doch nicht so blöd und stelle Fra gen. Das ist geheim. Ich, Itzig Finkelstein, fahre illegal nach Palästina ... auf Kosten des jüdischen Volkes ... um die Engländer zu ärgern ... um im Finstern zu landen ... um Geschichte zu machen ... obwohl ich schon mal Geschichte gemacht hab ... und da soll ich noch Fragen stellen?
    Na also! Eines Tages langten wir an der Küste an. Irgendwo in Frankreich. Die Franzosen wußten Bescheid. Das sind unsere Freunde. Die haben kurze Beine. Und die Engländer lange. Die lieben die Englän der nicht. Deshalb oder aus diesem Grund fördert Frankreich die illegale Einwanderung ins englische Mandatsgebiet Palästina.
    Ja. Und dann: Dort

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