Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
Vom Netzwerk:
Veronja.
    Ja, verdammt noch mal. Dort stand eine Kate. Und in der Kate wohnte Veronja, die Hexe.
    Die hat mich gequält. Und bestraft. Und verhöhnt. Und die hat mich auch verprügelt. Bloß, weil ich mal ein Gott war! Und Tee mußte ich trinken. Und ficken mußte ich. Maßlos ficken. Und geheult hab ich. Und Angst hab ich gehabt. Denn mein Herz ist schwach. Ja, lieber Itzig. Das war eine schlimme Zeit.
    Hab ich dir was von den Goldzähnen erzählt? Nein. Ich habe dir noch nichts davon erzählt.
    Also: die Goldzähne. Die Zähne meiner Toten. Ein kleines Vermögen. In einem Karton. Nicht alle Goldzähne aller Toten. Denn die meisten hatten wir vorher ins Reich geschickt. Auch deine. Und die Zähne deines Vaters. Und die Zähne deiner Mutter. Nur ein Karton, lieber Itzig. Nur einen. Den hatt' ich mitgenommen. Und im Wald versteckt. Und später ... in die Kate geholt ... und umgeleert ... in einen Sack. Ja, lieber Itzig. Nicht alle Goldzähne aus Laubwalde. Nur den letzten Rest. Aber immerhin. Ein kleines Vermögen.
    Und die Veronja hab ich umgebracht. Und hinter dem Wald wartete der Frühling. Und ich, damals noch Max Schulz, ging dem Frühling entgegen. Hab mich auf den Heimweg gemacht. Wohin? Auf den Heimweg, hab ich gesagt. Nach Deutschland. Natürlich nach Deutsch land. Allein. Ganz allein. Aber mit meinen Goldzähnen. Ja, lieber Itzig. Nicht ohne Goldzähne.
    Ich weiß nicht, wo meine Mutter ist. Und ich weiß auch nicht, wo Slavitzki ist. Aber ich scheiße auf meine Mut ter. Und ich scheiße auf Slavitzki.
    Und dann bin ich eben nach Warthenau gegangen. Mit meinem Sack. Mit meinen Goldzähnen. Und in Warthenau ... dort wohnte Frau Holle.
    Wer das ist? Du meinst, wer das war? Frau Holle ist Frau Holle. Oder: Frau Holle war Frau Holle. Eine, mit einem Holzbein.
    Und dort im Keller - die wohnte nämlich im Keller -dort lernte ich den Major kennen. Ein toter Amerikaner. Der war tot. Und Whisky hab ich gesoffen. Und Cornedbeef gefressen. Und auch ein bißchen gefickt. Aber mit Maß.
    Ja, lieber Itzig. So war das. So und so und nicht anders. Ich bin auch nicht lange geblieben ... in Warthenau , mein' ich ... bei Frau Holle. Bin dann nach Ber lin gezogen. Mit meinem Sack. Mit meinen Goldzähnen.
    Du hast Deutschland nicht mehr gesehen ... nachher! Ein Trümmerhaufen, lieber Itzig. Ein Trümmerhaufen! Das ist eure Schuld! Ihr habt euch im Grabe rumgedreht! Wer? Ihr! Die jüdischen Friseure! Und die anderen. Alle, die gegen uns waren und die wir erledigt hatten! - Und jedesmal, wenn ihr euch rumgedreht habt, da wackelten die Häuser in Deutschland ... da stürzten Mauern ein ... und Fensterscheiben barsten ... und Scherben lagen auf der Straße ... so wie damals in der Kristallnacht.
    Du hast Berlin nicht gesehen, lieber Itzig ... nachher ... obwohl deine toten Augen überall waren ... überall in Berlin. Ja, und auch in Warthenau. Und auch sonst... überall eigentlich.
    Was ich mit den Goldzähnen gemacht hab? Verkauft hab ich die, lieber Itzig. Wie man so sagt ... ich hab sie umgewechselt ... oder verwandelt. Übrigens: mich auch. Hab den Max Schulz ein bißchen umgekrempelt. Einfach so. Das ist jetzt Mode, weißt du, das mit dem Umkrempeln.
    Schade, daß du den jüdischen Schwarzhändler Itzig Finkelstein nie gekannt hast! Itzig Finkelstein in Berlin. Itzig Finkelstein ... der, mit dem schwarzen Mercedes. Das war 'ne Type, sag' ich dir. Den haben sie aus dem Stürmer rausgeschnitten. Wer? Die alten Nazis. Haben den Stürmer aus der Mottenkiste geholt, die alten Nazis. Einfach rausgeholt aus der Mottenkiste. Mit dem Bild des Itzig auf dem Titelblatt. Haben den Itzig dann ausgeschnitten. Und nach Berlin gebracht. Stellten ihn auf den Schwarzmarkt hin. Und legten ihn in das Bett einer blonden Gräfin.
    Warum die das gemacht haben? Die alten Nazis? Ich weiß es nicht. Vielleicht ... um die Zionisten zu ärgern ... oder die stolzen Juden ... oder ... um wieder Gift zu streuen. Ich weiß es nicht.
    Ich habe gut gelebt in Berlin. Nicht die ganze Zeit. Aber die meiste Zeit. Ja. Eine Zeitlang ging es mir gut. Ausgezeichnet. Und doch war ich unglücklich. Wer? Max Schulz? Nein, lieber Itzig. Itzig Finkelstein war unglücklich, obwohl Itzig Finkelstein den Krieg gewonnen hatte.
    Bei der Gräfin wurde er verhöhnt. Wer? Itzig Finkel stein! Oder: ich! - Ich mußte mich verteidigen. Das heißt: ich mußte nicht, aber ich wollte es. Ich wollte ihr nämlich beweisen, daß ich, Itzig Finkelstein, jemand war. Und nicht nur ich. Auch

Weitere Kostenlose Bücher