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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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hättest den Jubel hören sollen, den Applaus nach jedem Auftritt. Und soviel Licht....
    Licht«, sagte Hanna.
    »Ja, Hanna.«
    »Und Feuer«, sagte Hanna.
    »Was für Feuer, Hanna?«
    »Es brannte doch in Berlin«, sagte Hanna. »Alle Häuser brannten rings um unser Haus. Nur unseres brannte nicht.«
    »Ja, Hanna. Und du konntest nicht in den Keller, als die Bomben fielen? Stimmt's? So wie die anderen?«
    »Ja«, sagte Hanna. »Das stimmt. Und das Feuer ...«
    »Wie war das, Hanna?«
    »Ich tanzte einfach zum Fenster hinaus«, sagte Hanna ... »so wie ein Schmetterling ... und flog dann tanzend zum Feuer.«
    »Und dort hast du dir die Flügel versengt?"
    »Ja«, sagte Hanna. »Ich fiel tot auf die Erde.«
    »Ja, Hanna«, sagte ich.
    »Aber eines Tages«, sagte Hanna ... »eines Tages ...«
    »Was war eines Tages, Hanna?«
    »Da tanzte ich aus der Asche heraus. Das hättest du sehen sollen!«
    Hast du's gesehen, Itzig? Wie sie aus der Asche heraus getanzt ist? Die spinnt, sag' ich dir ... obwohl ich ja auch manchmal spinne. Aber anders.
    Was sagst du, Itzig? Das hat sie gar nicht erzählt? Dieses Gespräch zwischen mir und Hanna Lewisohn hat nie stattgefunden? Ich hätte mir das alles nur ausge dacht?
    Wenn Itzig Finkelstein ein Spinner wäre ... wer wäre dann der Spinner: ich oder du? Sei vorsichtig, Itzig! Zank nicht mit mir! Wir müssen uns vertragen! Wir beide! Du und ich!
    Also: Nehmen wir an ... sie hätte mir das erzählt. Nehmen wir an: ich hätte sie falsch verstanden, was ja nicht meine Schuld ist oder wäre. Nehmen wir also an:
    Der bucklige Zwerg ist kein buckliger Zwerg. Der bucklige Zwerg ist irgendein Mann, ein ganz gewöhnli cher normaler Mann ... oder eine Frau ... ja ... warum nicht eine Frau ... oder: irgend jemand ... sagen wir: irgend jemand, der sie beschützt hat, bis alles vorbei war. Nehmen wir an, die Dachkammer wäre eine Wohnung gewesen, eine geräumige, luftige Wohnung; sogar gemütlich. Und die lange Bank keine lange Bank, son dern ein Sofa ... sagen wir: ein Plüschsofa. Nehmen wir also an: Alles wäre anders gewesen. Vor allem die Fes seln. Wir könnten uns ja vorstellen, daß die Wände der Wohnung zu Fesseln wurden und sie drei Jahre lang festhielten. Oder der Mann war die Fessel oder die Frau oder der bucklige Zwerg, der ein Zwerg war oder keiner. Nehmen wir an: Ihre Seele wollte wegfliegen mitsamt den Beinen der Ballerina, konnte aber nicht, weil das nicht ratsam war oder gefährlich.
    Du siehst... es ist also möglich, daß ich sie falsch ver standen habe. Oder ich habe sie nicht falsch verstanden, sondern richtig verstanden? Und sie hat mir das absichtlich so erzählt ... so wie ich es verstanden habe, um es anschaulicher zu schildern. Vielleicht glaubt sie, daß ich, ein Friseur ... die Wahrheit sonst nicht begreifen würde. Das ist doch möglich?
6.
    Die ›Exitus‹ verändert jede Nacht ihren Kurs. Keiner weiß, was Teiresias Pappas mit uns vorhat. Gestern Nacht steuerten wir auf die afrikanische Küste zu, schwenkten jedoch in der Morgendämmerung um und fuhren denselben Wasserweg wieder zurück. Die Augen der ›Exitus‹ sind vor Entsetzen weit aufgerissen. Zuweilen läßt Teiresias Pappas den Jammerkasten im Kreise herumfahren, als wäre die ›Exitus‹ eine von mei nen Ratten, die ihren eigenen Schwanz mit dem Maule sucht.
    Was ist eigentlich los? Ich sprach mit dem Haganahkommandanten David Schapiro. »Täuschungsmanö ver«, sagte David Schapiro. »Haben Sie nicht bemerkt, daß wir jede Nacht den Kurs wechseln?«
    Ich sagte: »Das hab ich bemerkt.«
    »Und die Flagge«, sagte David Schapiro.
    »Das hab ich nicht bemerkt.«
    »Dann gucken Sie mal nach«, sagte David Schapiro.
    Das hab ich dann auch gemacht, lieber Itzig. Gestern war das. Ich schlenderte hinüber zum Flaggenstock unter der Manöverbrücke und bemerkte zu meinem Erstaunen, daß wir unter japanischer Flagge fuhren.
    »Vorgestern war's die portugiesische und vor drei Tagen die schwedische und vor vier Tagen die mexika nische und vor fünf Tagen die Flagge der Sowjetunion«, sagte David Schapiro lachend, als wir auf Deck wiederzusammenstießen. »Na, was sagen Sie dazu, Herr Finkelstein?«
    »Gar nichts«, sagte ich. »Und was ist mit dem Namen ›Exitus‹?«
    »Der bleibt vorläufig«, sagte David Schapiro. »Der ist sowieso verwischt, und niemand kann ihn richtig lesen.«
    Ich sagte: »Ach so ist das ...«
    Ja, lieber Itzig. So ist das. Ich sprach auch mit Max Rosenfeld. Max Rosenfeld ist der Ansicht,

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