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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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daß Teiresias Pappas ein Scharlatan ist. Oder einer, der sich selbst täuschen will. Unlängst sagte Max Rosenfeld: »Der großar tigste illegale Landungsplan aller Zeiten! Das erzählt Teiresias Pappas allen Passagieren. Unsinn, Herr Finkelstein! Wenn wir Glück haben, kommen wir unbemerkt durch die Blockade. Wenn nicht, nicht.«
    Manchmal brüllt uns die Stimme des Teiresias Pappas am hellichten Tage durch den Lautsprecher an: »Alle von Deck verschwinden! Nur die Mannschaft bleibt oben!« Dann beginnt jedesmal ein Wettrennen nach den Treppen, die zum Zwischendeck führen. Eine Vorsichtsmaßregel. Weiter nichts. Nur notwendig, wenn ein fremdes Schiff auftaucht oder verdächtige Pünktchen am Himmel. Niemand darf wissen, wer wir sind!
    Trotzdem bin ich, der Massenmörder Max Schulz oder der Jude Itzig Finkelstein, überzeugt, daß die Engländer genau wissen, wer wir sind. Sie wissen, daß wir unterwegs sind, um illegal zu landen. Die Engländer warten geduldig. Sobald wir in die palästinensischen Hoheitsgewässer einfahren, werden sie uns auf den Pelz rücken mit ihrer Flotte ... mit ihren Flugzeugen.
    Was dann sein wird? Ich weiß es nicht, Itzig. Dann werden wir wahrscheinlich auf der Insel Zypern interniert. Oder wir werden uns die Landung erkämpfen.
    Gestern sagte der Haganahkommandant David Schapiro : »Das wird ein Scheibenschießen werden! Wir wer den die Engländer wie die Spatzen über Bord schießen. Und Molotowcocktails haben wir auch! Wir werden kämpfen! So wie wir in Warschau gekämpft haben!«
    Ich habe ihn gefragt: »Und werden wir auch landen?«
    »Natürlich werden wir landen«, hat er gesagt.
    »Und dann?«
    »Dann können uns die Engländer am Arsch lecken!«
    Je mehr wir uns der palästinensischen Küste nähern, desto unruhiger werden die Leute. Heute früh wurden Waffen verteilt: Revolver, alte Gewehre, Molotowcocktails, auch ein paar Maschinenpistolen. Die Stimme des Haganahkommandanten im Lautsprecher »Wer mit Waffen umgehen kann, hat sich bei mir zu melden!«
    Selbstverständlich hab ich mich sofort gemeldet. Hab zu David Schapiro gesagt: »Herr Haganahkommandant! Wieviel Maschinenpistolen haben Ihre Leute übrig?«
    »Fünf Stück, Herr Finkelstein.«
    »Dann geben Sie mir eine davon!«
    »Können Sie mit so einem Ding umgehen, Herr Finkelstein?«
    Ich hab zu ihm gesagt: »Jawohl. Das kann ich.«
    »Wo haben Sie das gelernt?«
    »Bei den Partisanen.«
    Lieber Itzig. Ich bekam meine Maschinenpistole. Auch ein paar Molotowcocktails. Bin ganz aufgeregt. Schade, daß ich im Augenblick kein Tagebuch führe. Sonst hätte ich nämlich folgende Eintragung gemacht:
    »Ich, der Massenmörder Max Schulz, bin ab heute ... ein jüdischer Freiheitskämpfer."
    Ich schneide den Leuten mit umgehängter Maschinenpi stole die Haare. Unter meinem provisorischen Friseurses sel liegen Molotowcocktails. Frauen und Kinder kiebitzen nach wie vor, wenn ich arbeite, ab und zu auch ein paar Männer, die nichts besseres zu tun haben, aber nie mand reißt Witze. Man respektiert mich. Hanna Lewisohn ist ganz wild geworden, seitdem ich Soldat bin. Nicht nur in der Nacht. Sogar am Tag. Sie weicht nicht von meiner Seite und küßt mich bei jeder Gelegenheit.
    Sonst passiert hier nicht viel auf der ›Exitus‹. Keiner weiß, ob Teiresias Pappas heute oder morgen nacht die palästinensische Küste ansteuern will oder ob er das wieder verschiebt. Vielleicht fahren wir heute nacht wieder in Richtung Afrika oder bloß im Kreis rum oder machen kunstvolle Zick-Zack-Bewegungen?
    Das Wetter ist nach wie vor gut. Ein kurzer Regen schauer hätte der ›Exitus‹ nicht geschadet, falls der liebe Gott beschlossen hätte, den Jammerkasten vor seiner Landung zu waschen, eins, zwei, drei, ohne Zeitverlust, um sie gleich darauf schnell mit ›Seiner‹ Sonne zu trock nen, aber anscheinend kann ›Er‹ das nicht, da es in die ser Meeresgegend im Sommer nicht regnet. Hängt mit dem Klima zusammen.
    Das Wetter ist gut, und der Himmel ist blau. Die Leute an Deck schnattern aufgeregt durcheinander, und die pinkelnden Säuglinge an der Reling pinkeln so still und geräuschlos, ohne Gekreisch, ohne Gezeter, als wüßten sie um den Moment der Andacht. Denn jeder hier spürt es bis in die Knochen: das Gelobte Land ist nah!
    Seltsam. Wann immer der Rabbi mich anblickt, dann kommt es mir, Max Schulz, dem Massenmörder ... dann kommt es mir wahrhaftig so vor, als stünden Zweifel in seinen Augen, als wüßten seine Augen nicht, ob sie mich

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