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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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wirklich segnen sollten. Was ist das nur?
    Ich weiche ihm aus. Dafür bin ich oft mit dem Richter zusammen - Amtsgerichtsrat Wolfgang Richter -nicht nur in aller Früh beim Rasieren ... auch so. Der läßt sich nicht so leicht abschütteln. Interessiert sich immer mehr für Max Schulz, der Richter. Läßt mich berichten. Forscht mich aus. Versichert mir jedesmal: »Herr Finkelstein! Der Fall interessiert mich! Und daß der Kerl verschwunden ist, das glaub ich schon. Aber irgendwo muß er doch sein? Oder nicht? Und ich wette mit Ihnen, daß ich das eines Tages ausknobeln werde. Machen wir eine Wette?«
    »Gut«, hab ich gesagt. »Machen wir eine Wette!«
    »Um eine Flasche Champagner, Herr Finkelstein!«
    »Gut«, hab ich gesagt. »Um eine Flasche Champagner!«
    Es ist soweit! Itzig Finkelstein! Mensch! Junge! Reiß die toten Augen auf! Heute nacht werden wir landen!
    Zuerst sprach Teiresias Pappas. Ganz kurz. Sagte nur: »Heute nacht wird gelandet!«
    Dann sprach David Schapiro. David Schapiro sprach längere Zeit. Er sagte, daß wir landen werden, weil das unser historisches Recht ist, in unserer angestammten Heimat zu landen. »Und die Landung ist nicht illegal! Sondern legal!« Die Stimme im Lautsprecher brüllte den Himmel an: »Wer ist illegal in Palästina? Die Engländer! Und wer war dort 2000 Jahre lang zu Gast, während wir verreist waren? Alle möglichen Gojim! Auch die Araber! Und wem gehört das Land rechtmäßig? Uns! Und wer hat es uns geschenkt? Du!« Ich kann mich nicht genau daran erinnern, was David Scha piro noch alles gesagt hat! Nur an ein Wort kann ich mich genau erinnern. An ein einziges Wort. David Schapiro sagte: »Auferstehung!«
    Lieber Itzig. Was hat er damit gemeint? Ist die Auferstehung wirklich nah? Und welche Auferstehung? Die Auferstehung der Toten? Oder die Auferstehung des jüdischen Volkes? Und könnte es vielleicht so sein, daß die Toten nicht wirklich auferstehen? Daß nur das Volk aufersteht? Und wir mit dem Volk? Und mit dem Volk seine verklungene Geschichte? Und mit der Geschichte ... die Toten bis zum letzten Geschlecht? Ich weiß das nicht, lieber Itzig! Ich weiß nur, daß die Leute auf der ›Exitus‹ bei dem Wort ›Auferstehung‹ den Kopf verloren. Irgend jemand schrie: »Unser Schiff heißt nicht mehr ›Exitus‹! Es heißt ›Auferstehung‹!« Ein anderer schrie: »Wir müssen den Namen ändern!« Und die Menge brüllte: »Und die Flagge! Runter mit der falschen Flagge!« Und Teiresias Pappas brüllte: »Nein! Nein!«
    Niemand kümmerte sich mehr um das ›Nein‹ des Griechen Teiresias Pappas. Am Vorabend der Landung wurde das Schiff umgetauft, der Name ›Exitus‹ abge kratzt. Es heißt jetzt ›Auferstehung‹! Überall springt einem das Wort in die Augen ... in allen Sprachen ... das ganze Schiff ist bemalt ... damit es der Himmel auch sieht ... und vielleicht ... die ganze Welt ... Und im Flaggenstock, lieber Itzig ... dort steckt jetzt die blauweiße Fahne mit dem Davidstern.
    Das ist unser letzter Tag im Exil. Oder sagen wir: Das war die letzte Nacht.
    Kannst du mich sehen ... Itzig Finkelstein? Ich stehe an der Reling mit umgehängter Maschinenpistole ...
 Fünftes Buch
  1.
    Ich stand an der Reling, prüfte meine Maschinenpisto le, hängte sie wieder um, blickte aufs Meer. Ich sah, wie das Meer die Sonne verschlang. Ich sah, wie das letzte Licht von den Wellen erfaßt wurde, hörte die stummen Schreie der Fische, sah das verzweifelte Licht zappeln zwischen den springenden Schaumkronen, dachte: Jetzt ist es soweit! Schloß meine Augen, hielt sie lange geschlossen, blinzelte dann, riß die Augen auf ... die Froschaugen ... meine ... die Augen des anderen Itzig Finkelstein ... und merkte, daß die Nacht aus dem Meer gestiegen war.
    Neben mir, im Finstern, stand David Schapiro. Ich fragte: »Ist es soweit?«
    »Noch nicht«, sagte David Schapiro.
    Ich hörte ihn leise husten. »Um drei Uhr früh«, sagte David Schapiro. »Um drei Uhr früh wird die ›Auferstehung ‹ ...«
    »Was?«
    »... die palästinensische Küste erreichen.«
    »Um drei Uhr früh?«
    »Um drei Uhr früh!«
    Ich nickte. Ich blickte zum Himmel.
    »Hoffentlich versteckt ›Er‹ den Mond, wenn es soweit ist«, sagte David Schapiro, als hätte er meine Gedanken erraten.
    Ich fragte: »Wer? Teiresias Pappas?"
    »Nein«, sagte David Schapiro. »Der nicht.«
    Die Engländer haben das Schiff nicht gesehen.
    Um drei Uhr früh steuerte Teiresias Pappas unsere ›Auferstehung‹ über die

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