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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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selbstverständlich aufbewahrt. Interessieren Sie Schlagzeilen?
    Schlagzeilen: » ›Auferstehung‹ in Palästina gelandet! 1600 Illegale durchbrachen am 14. Juni 1947 die engli sche Blockade! Engländer zu spät! Illegale flüchten in Lastautos! Wilde Fahrt durch die Wüste! Einheiten derjüdischen Geheimarmee decken die Flucht! Lastautos mit Illegalen verschwinden in der Morgendämmerung! Spurlos! Engländer durchkämmen das Heilige Land auf der Suche nach den Illegalen!« Andere Schlagzeilen: »Illegale erhalten von der jüdischen Schattenregierung falsche Papiere! Die falschen Papiere sind legale Papie re!«
    Schlagzeilen! Schlagzeilen: »Massenverhaftungen in Haifa, Tel Aviv, Jerusalem! Massenverhaftungen in allen Städten! Massenverhaftungen führen zu keinem Ergeb nis! Es wird daher angenommen, daß die Illegalen nicht in den Städten, sondern in jüdischen Gemeinschaftssiedlungen untergebracht worden sind!«
    Andere! Andere Schlagzeilen: »In einem Interview mit dem Sachverständigen für Palästinafragen, Sir Edward Hunter, erfährt der Schreiber dieser Zeilen, daß die Juden des Heiligen Landes, insbesondere die in den Gemeinschaftssiedlungen, zeitweise blind und taub sind. Keiner will etwas gesehen oder gehört haben!«
    Das jüdische Volk brachte Itzig Finkelstein in das Land seiner Vorväter zurück. Seine Ankunft, nach einem Exil von 2000 Jahren, war ein historischer Moment. Deshalb oder aus diesem Grunde hielten jüdische Freiheitskämpfer den Heiligen Strand besetzt: um Itzig Finkelstein, den Heimkehrer, zu beschützen, um sein sicheres Untertauchen im Heiligen Lande zu garantieren ... denn Itzig Finkelstein, der Heimkehrer, durfte unter keinen Umständen in die Hände der Engländer fallen, die ihn deportiert hätten ... zurück ins Exil. Die Lastautos stoben in alle Richtungen auseinander. Das eine mit Itzig Finkelstein fuhr drei Stunden lang in halsbrecherischer Fahrt durch eine Sand- und Steinwüste, die Itzig Finkelstein von Bilderbüchern und Postkarten her bekannt vorkam.
    Itzig Finkelstein hatte Magenschmerzen. Ihm war zum Erbrechen übel. Was war das nur? Weil das Lastauto seltsame Sprünge machte? Oder weil sich Itzig Finkelstein aufs neue verwandelte?
    Itzig Finkelstein hatte sich zu oft verwandelt. Aus dem unschuldigen Säugling, der einmal Max Schulz hieß, war ein kleiner Rattenfänger geworden. Und aus dem Rattenfänger ein studierter junger Herr. Und aus dem studierten jungen Herrn ... ein Friseur. Und aus dem Friseur ein SS-Mann. Und aus dem SS-Mann ein Massenmörder. Und aus dem Massenmörder ... der kleine jüdische Schwarzhändler Itzig Finkelstein. Und jetzt: aus dem kleinen jüdischen Schwarzhändler Itzig Finkelstein ... ein Pionier, ein Heimkehrer, ein Freiheitskämpfer.
    Ja, verdammt noch mal. Mir war zum Erbrechen übel. Die vielen Verwandlungen ... all die kleinen und großen Max Schulzes und Itzig Finkelsteins rumorten in meinen Eingeweiden, wurden geboren, verwandelten sich, kletterten Zwischenstufen und Hintertreppen hin auf und hinab, wuchsen und starben. Das Lastauto raste hüpfend durch die Wüste. Ich stand eingeklemmt zwischen den anderen Illegalen, starrte in die Morgensonne, starrte den strahlend blauen Himmel an und die Landschaft aus den Bilderbüchern. Wir rasten durch eine Wolke Heiligen Staubes, weit entfernt von der Landstraße ... die Landstraße, die noch den Engländern gehörte. Ab und zu tauchten schmutzige arabische Dörfer auf, aber wir fuhren nicht hindurch. Wir ließen die Dörfer links oder rechts liegen. Wir kamen an Beduinenlagern vorbei, die ich kaum wahrnahm. Nur durch den Schleier vor meinen Augen. Blitzlichter waren das, von der Neuen Sonne im Staub der Verheißung gezeugt, das huschte alles vorbei: vermummte Gestalten, Zelte aus Kamel- und Ziegenhaar, räudigeHunde, die aus den Wadis - den ausgetrockneten Regenbetten und Flußtälern - heraussprangen und uns ankläfften, Kamele und Esel, die kaum den Kopf hoben, und Herden grauer, schmutziger Schafe und seltsamer, kleiner, schwarzer Ziegen. Wir fuhren zuerst landein wärts, weg von der Küste bei Gaza, fuhren auf Karawa nenwegen in die Wüste, schwenkten dann um, fuhren nordwärts, machten einen weiten Bogen und stießen zur Küste zurück.
    Ja, so war das. Gegen sieben Uhr früh erreichten wir die ersten jüdischen Siedlungen. - Felder! Mitten in der Wüste! Plantagen! Bananen- und Orangenhaine! Kleine, helle Häuser mit flachen Dächern, umringt von Bäumen und Blumenbeeten! Wasseranlagen!

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