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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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selt­sa­mer In­ten­si­tät zu. In der Stil­le dran­gen die Wor­te scharf und laut zu Co­rinth her­über: „… weil wir die ewi­gen Prin­zi­pi­en des Le­bens ver­ges­sen ha­ben, weil wir es zulie­ßen, daß sie uns be­tro­gen, weil wir al­le auf die Ei­er­köp­fe ge­hört ha­ben. Ich aber sa­ge euch, es ist nur das Le­ben selbst, das vor dem großen Eins­s­ein Be­stand hat, in dem al­le eins sind und das al­le um­faßt. Se­het, ich ver­kün­di­ge euch das Wort des zu­rück­ge­kehr­ten …“
    Co­rinth be­kam ei­ne Gän­se­haut, und er mach­te einen großen Bo­gen um die Ecke. War das ein Missio­nar vom Kult des Drit­ten Baal? Er wuß­te es nicht und hat­te kei­ne Lust an­zu­hal­ten, um es her­aus­zu­fin­den. Kein Po­li­zist in Sicht, um es zu mel­den. Es wür­de ei­ne Men­ge Är­ger und Pro­ble­me ge­ben, falls die neue Re­li­gi­on hier in der Stadt vie­le An­hän­ger fand. Es be­ru­hig­te ihn ein we­nig, als er ei­ne Frau sah, die in ei­ne na­he ge­le­ge­ne ka­tho­li­sche Kir­che ging.
    Ein Ta­xi ras­te auf zwei Rä­dern um ei­ne Ecke, streif­te einen par­ken­den Wa­gen und war gleich dar­auf wie­der lär­mend ver­schwun­den. Ein an­de­rer Wa­gen kroch lang­sam die Stra­ße hin­un­ter; der Fah­rer zeig­te ein ver­zerr­tes Ge­sicht, sein Mit­fah­rer hielt ei­ne Schrot­flin­te.
    Auf bei­den Stra­ßen­sei­ten wa­ren die Lä­den ver­bar­ri­ka­diert, nur ein klei­nes Le­bens­mit­tel­ge­schäft hat­te ge­öff­net, aber der Ei­gen­tü­mer trug ei­ne Pis­to­le am Gür­tel.
    In dem düs­te­ren Ein­gang ei­nes Apart­ment­blocks saß ein al­ter Mann und las mit ei­nem selt­sa­men, be­ses­se­nen Hun­ger, der ihn al­les um sich her­um ver­ges­sen ließ, Kants Kri­tik.
    „Lie­ber Herr, ich ha­be seit zwei Ta­gen nichts mehr ge­ges­sen.“
    Co­rinth sah die Ge­stalt an, die sich aus ei­nem Haus­ein­gang ge­scho­ben hat­te. „Tut mir leid“, ant­wor­te­te er. „Ich ha­be nur zehn Dol­lar da­bei. Kaum ge­nug für ei­ne Mahl­zeit, bei den heu­ti­gen Prei­sen.“
    „Mein Gott, ich kann kei­ne Ar­beit fin­den.“
    „Ge­hen Sie zum Rat­haus. Dort gibt man ih­nen Ar­beit und et­was zu es­sen. Sie brau­chen dort drin­gend Leu­te.“
    „Die­ser Kram? Stra­ßen keh­ren, Müll­ab­fuhr, Le­bens­mit­tel in die Stadt kut­schie­ren – lie­ber ver­hun­ge­re ich!“
    „Dann hun­gern Sie!“ stieß Co­rinth her­vor und setz­te sei­nen Weg ra­scher fort. Das Ge­wicht des Re­vol­vers, der sei­ne Man­tel­ta­sche nach un­ten zog, war be­ru­hi­gend. Nach al­lem, was er ge­se­hen hat­te, hat­te er we­nig Mit­leid mit die­sem Typ von Men­schen.
    Ob­wohl – konn­te man über­haupt et­was an­de­res er­war­ten? Man neh­me einen ty­pi­schen Bür­ger, einen Fa­brik­ar­bei­ter oder Bü­ro­an­ge­stell­ten. Sein Ver­stand ist zu ei­ner Samm­lung ver­ba­ler Re­fle­xe ab­ge­stumpft, sei­ne Zu­kunft ei­ne Pla­cke­rei von Tag zu Tag, die ihm nicht mehr bie­tet als die Mög­lich­keit, sich den Bauch zu fül­len oder durch Ki­no und Fern­se­hen zu be­täu­ben – im­mer grö­ße­re Wa­gen, im­mer mehr Kunst­stoff, auf­wärts und vor­wärts im Ame­ri­can Way of Li­fe.
    Selbst schon vor der Ver­än­de­rung hat­te ei­ne in­ne­re Lee­re, ei­ne Hohl­heit, in der west­li­chen Zi­vi­li­sa­ti­on exis­tiert, das un­be­wuß­te Wis­sen, daß es im Le­ben mehr ge­ben soll­te und muß­te als das kurz­le­bi­ge Ei­gen­in­ter­es­se – aber das Ide­al hat­te sich nir­gend­wo an­ge­deu­tet oder gar ge­zeigt.
    Dann, plötz­lich, fast über Nacht, hat­te sich die mensch­li­che In­tel­li­genz zu phan­tas­ti­schen Hö­hen ge­stei­gert. Ei­ne völ­lig neue Welt tat sich vor den Men­schen auf, Vi­sio­nen, Er­kennt­nis­se, Ein­bli­cke bro­del­ten un­ge­be­ten in ih­nen. Man sah die elen­de Un­zu­läng­lich­keit sei­nes Le­bens, die Tri­via­li­tät der Ar­beit, er­kann­te die Be­grenzt­heit und Be­deu­tungs­lo­sig­keit al­ler bis­he­ri­gen Über­zeu­gun­gen und re­si­gnier­te.
    Na­tür­lich lie­ßen sich nicht al­le trei­ben – nicht ein­mal die Mehr­heit. Aber es reich­te, um die tech­no­lo­gi­sche Zi­vi­li­sa­ti­on aus dem Tritt zu brin­gen. Falls kei­ne Koh­le mehr

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