Der Nebel weicht
Teil ihrer neuen geistigen Energie verschwendet sich darauf, Rationalisierungen dafür zusammenzuschustern. Dann kommt plötzlich jemand wie dieser Dritte Baal des Weges und bietet den verängstigten und verwirrten Leuten ein Allheilmittel an: Er sagt ihnen, daß es gut und richtig ist, die schreckliche Last des Denkens abzuwerfen und sich selbst in einer emotionalen Orgie zu vergessen. Es wird nicht immer so weitergehen, aber die Übergangsperiode ist hart.“
„Ja … hm … ich mußte erst einen Intelligenzquotienten von 500 oder so erlangen – was immer das bedeuten mag –, um zu erkennen, wie bedeutungslos Intelligenz oder Klugheit letzten Endes ist. Hübscher Gedanke.“ Corinth verzog das Gesicht und drückte seine Zigarette aus.
Helga schob ihre Papiere zusammen und legte sie in eine Schublade. „Wollen wir gehen?“
„Es ist fast Mitternacht. Sheila wird sich schon Sorgen machen, fürchte ich.“
Sie gingen durch die verlassen daliegende Empfangshalle an den Wachen vorbei auf die Straße. Eine einsame Laterne warf einen schwachen Lichtschimmer auf Helgas Wagen. Sie setzte sich hinters Steuer, und leise summend glitt der Wagen durch die nächtlichen Straßen.
„Ich wünschte …“ – in der Dunkelheit klang ihre Stimme fast zaghaft – „… ich wäre hier raus. Irgendwo in den Bergen.“
Er nickte und fühlte, wie sehr auch er sich nach einem offenen Himmel und dem reinen Licht der Sterne sehnte.
Der Mob war so schnell aufgetaucht, daß sie keine Zeit mehr hatten zu entkommen. Eben noch war der Wagen durch eine leere Straße gefahren, und im nächsten Augenblick schien der Boden Menschen auszuspucken. Sie strömten aus den Seitenstraßen, fast geräuschlos bis auf das Murmeln einiger Stimmen und das Schlurfen Tausender Füße – die wenigen Straßenlaternen ließen hier und dort Zähne und Augen aufblitzen. Helga brachte das Auto mit quietschenden Bremsen zum Stehen, als die Woge sich vor den Wagen schob und sie am Weiterfahren hinderte.
„Tod den Wissenschaftlern!“ erhob sich ein einzelner Schrei, der schnell zu einem dumpfen Sprechchor wurde. Der lebende Strom ergoß sich als undeutlicher Schatten um den Wagen, und Corinth konnte ihr heiseres, heißes Atmen hören.
Zerbrecht sie, zerstört sie, verbrennt ihre Häuser.
Vernichtet die bösen Kinder der Sünde.
Marschiert voran – macht auf das Tor,
Öffnet es dem Dritten Baal!
Hinter den hohen Gebäuden schoß eine Flammenwand hoch, irgend etwas brannte. In dem blutroten Schein schälte sich ein tropfender Schädel aus dem Dunkel, den irgend jemand an einer Stange in die Höhe hob.
Sie müssen Patrouillen überwältigt haben, dachte Corinth gehetzt. Sie mußten überraschend in den bewachten Bezirk eingedrungen sein und wollten ihn jetzt verwüsten, bevor Verstärkung kam.
Ein bärtiges, schmutziges Gesicht schob sich durch das Fahrerfenster. „’ne Frau! Er hat ’ne Frau dabei!“
Corinth riß die Pistole aus der Manteltasche und schoß. Kurz nahm er das Klicken des Abzugs, die bellende Explosion und das Brennen der Pulverreste auf der Haut war. Das Gesicht hing eine Ewigkeit dort, löste sich in Blut und Knochen auf. Langsam sank es nach unten, und die Menge schrie. Der Wagen bebte und schwankte unter ihren Stößen.
Corinth nahm sich zusammen und stieß seine Tür gegen den Druck der dichtgedrängten Körper auf. Jemand faßte nach seinem Fuß, als er auf die Kühlerhaube stieg. Er trat zu und fühlte, wie sein Absatz gegen Zähne stieß, und richtete sich auf. Er hatte seine Brille abgenommen, ohne darüber nachzudenken, warum es besser war, nicht mit ihr gesehen zu werden; das Feuer, die Menge und die Häuser waren jetzt ein verschwommenes
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