Der Nebel weicht
gesagt, daß Sie leben.“
„Wie hat sie reagiert?“
„Heftig geweint natürlich. Das ist ein gesundes Symptom. Sie können eine halbe Stunde bleiben, wenn Sie sie nicht zu sehr aufregen.“ Kearnes gab ihm die Zimmernummer und ging zurück in sein Büro.
Corinth nahm den Fahrstuhl und ging durch einen langen Korridor, der nach regenfeuchten Rosen duftete. Als er Sheilas Zimmer erreichte, stand die Tür offen, er zögerte einen Moment und warf einen Blick hinein. Es glich einer Laube in einem Wald: Farne und Bäume und das leise Gezwitscher von Vögeln; irgendwo rauschte ein Wasserfall, und in der prickelnden Luft hing der Geruch nach Erde und Laub. Das meiste davon war Illusion, nahm er an, aber wenn sie sich darin wohlfühlte …
Er trat ein und näherte sich dem Bett, das am Rande einer sonnigen Wiese zu stehen schien. „Hallo, Liebling“, sagte er.
Das Seltsamste an allem war, daß sie sich nicht verändert hatte. Sie sah aus wie an dem Tag, als sie geheiratet hatten: jung, hübsch und gesund, ihr Haar umrahmte ein Gesicht, das immer noch ein wenig bleich war, ihre Augen leuchteten auf, als sie zu ihm aufblickte. Das weiße Nachthemd ließ sie sehr jung, fast kindlich erscheinen.
„Pete“, sagte sie.
Er beugte sich über sie und gab ihr einen sanften Kuß. Sie erwiderte ihn irgendwie zurückhaltend, als käme er von einem Fremden. Als ihre Hände sein Gesicht streichelten, bemerkte er, daß sie keinen Ehering mehr trug.
„Du lebst“, sagte sie, als sei sie darüber verwundert. „Du bist zurückgekehrt.“
„Zu dir, Sheila.“ Er setzte sich neben sie auf das Bett.
„Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Ich liebe dich“, sagte er in seiner Hilflosigkeit.
„Ich habe dich auch geliebt.“ Ihre Stimme war immer noch sehr leise und sehr weit fort, und er sah die Verträumtheit in ihren Augen. „Darum habe ich es getan.“
Er nahm sich zusammen, kämpfte um seine Beherrschung. In seinem Kopf dröhnte es.
„Ich erinnere mich nicht sehr gut an dich, weißt du“, sagte sie. „Ich glaube, mein Gedächtnis wurde auch geschädigt. Es scheint alles Jahre zurückzuliegen, und du bist wie ein Traum, den ich einst liebte.“ Sie lächelte. „Wie mager du bist, Pete! Und irgendwie hart. Alle sind so hart geworden.“
„Nein“, widersprach er. „Sie machen sich alle Sorgen um dich.“
„Aber nicht so wie früher. Nicht so, wie ich es kannte. Und du bist nicht mehr Pete.“ Sie setzte sich auf und sprach etwas lauter. „Pete ist gestorben während der Veränderung. Ich habe ihn sterben sehen. Du bist ein lieber, netter Mann, und es tut mir weh, dich zu sehen, aber du bist nicht Pete.“
„Bitte reg dich nicht auf“, flüsterte er.
„Ich konnte dir nicht mehr folgen“, sagte sie, „und ich wollte dir – oder mir – diese Last nicht aufbürden. Jetzt bin ich zurückgegangen – und du ahnst nicht, wie wundervoll es ist. Einsam, aber wundervoll. Es liegt Frieden darin.“
„Ich brauche dich noch immer.“
„Nein. Bitte lüg mich nicht an. Es ist nicht nötig, verstehst du!“ Sheila lächelte ihn über Jahrtausende hinweg an. „Du kannst hier ruhig mit unbewegtem Gesicht sitzen – nein, du bist nicht Pete. Aber ich wünsche dir alles Gute und viel Glück.“
Da wußte er, was sie brauchte, und er gab seine Beherrschung auf, entließ sich aus der neuen Selbstkontrolle. Er kniete sich neben das Bett und weinte, und sie tröstete ihn, so gut sie es vermochte.
20
Mitten im Pazifik, ganz in der Nähe des Äquators, liegt eine Insel, weit entfernt von der Welt des Menschen. Die alten Schiffahrtsrouten und später auch die der Fluglinien verliefen jenseits ihres Horizonts, und das Atoll war der Sonne, dem Wind, dem Geschrei der Möwen überlassen gewesen.
Eine kurze Zeit hatte es auch den Menschen kennengelernt. Die langsame, blinde Geduld der
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