Der Nebelkönig (German Edition)
des Drachen.
Die Tochter der Katzen
missachtete den Willen ihres Clans und ging mit dem Sohn des Drachen auf und
davon. Ein Dritter gesellte sich zu ihnen: ein Rabe, der diese und andere
Welten bereist hatte und über das Wissen verfügte, wie man heilte.
Die drei Gefährten waren
verschworene Freunde, und jeder von ihnen war bereit, sein Leben für die
anderen zu geben. Sie wanderten durch die Welt und lernten von ihren Geschöpfen,
vom Wind und den Sternen, von den Bäumen und den Wellen des Ozeans. Ihre
magischen Kräfte wuchsen und mit ihnen die Zuversicht, dass sie einst fähig
sein würden, zu herrschen, wie die Drachen es getan hatten: weise, streng und
gütig.
Schließlich kehrte der Zögling
des Drachen zu seinem Ziehvater zurück, um sein Erbe anzutreten. Er wurde
liebevoll empfangen, aber sein Vater verweigerte ihm das, worum er bat. Der
letzte der Drachen traute weder seinem Ziehsohn noch einem anderen Kind zu, die
Geschicke der Welt so zu lenken, wie die Drachen es getan hatten.
Der Wolf, der Rabe und die
Katze waren verzweifelt. Es war deutlich, dass der alte Drache seine Kraft
verloren hatte und nur zu bald seinem Volk zu den Sternen folgen würde.
Sallie zwang sich, das Buch zu
schließen. Sie schob es unter ihr Kissen und bettete ihren Kopf darauf. Bilder
voller Trauer und Gewalt flossen durch ihr träumendes Bewusstsein.
Sie erwachte hungrig und
unternehmungslustig. Zwar fühlte sie sich immer noch ein wenig zittrig, aber
das Gefühl verging, als sie das wunderbare Buch in ihre Schürze einwickelte und
den Schlafsaal verließ.
Sie war ein klein wenig in
Sorge, dass einer der Köche sie anfahren würde, weil sie nicht zur Arbeit erschienen
war, aber dann siegte der Hunger über ihre Bedenken. Sallie betrat die Küche,
die nachmittäglich ruhig war, und bat Imer, den freundlichen Beikoch, um etwas
Brot und Käse und einen Apfel.
Imer musterte mitleidig ihre
bandagierte Hand. »Tut es noch sehr weh?«, fragte er, während er ihr zwei dicke
Scheiben Brot von dem großen Laib herunterschnitt.
»Nein, der Apotheker hat den
Schnitt zugenäht.«
Imer schüttelte sich »Du hast
bestimmt geweint«, sagte er verständnisvoll.
Sallie krauste die Stirn.
Warum erwarteten nur immer alle von ihr, dass sie bei der geringsten
Kleinigkeit in Tränen ausbrach?
Imer legte ein Stück Käse,
zwei reife Birnen und eine Handvoll Nüsse zu dem Brot, sah sich um, ob der
kahle Leka in der Nähe stand, und packte noch eine dicke Scheibe vom kalten
Braten dazu. »Du siehst aus, als könntest du es brauchen«, sagte er mit einem
Zwinkern. Er schlug alles in ein sauberes Tuch ein und reichte ihr das
Päckchen.
»Hast du eine Kerze für
mich?«, fragte Sallie.
Imer schnaufte belustigt. »Was
hast du vor?«, fragte er und öffnete den Schrank. »Eine Kerze für die junge
Dame. Bitte sehr.«
Sallie dankte ihm und machte,
dass sie aus der Küche kam. Das Paket mit den feinen Sachen lag schwer und
verheißungsvoll in ihren Händen. Sie hockte sich damit auf die Kellertreppe,
wickelte das Bündel aus und sog den Duft der Leckereien ein – sogleich lief ihr
das Wasser im Mund zusammen. Sallie konnte nicht widerstehen, ein Stückchen von
dem Käse und eine Nuss in den Mund zu stecken. Dann knotete sie das Tuch wieder
zu, legte alles zu ihrem Buch und schlug die Schürze darüber. Das Bündel in den
Armen haltend wie einen wertvollen Schatz, lief sie die Kellertreppe hinunter.
An der letzten Lampe im
östlichen Kellergang entzündete sie ihre Kerze und ging damit ins Dunkle hinein.
Nach der zweiten oder dritten Biegung, die der Gang machte, hielt sie an, stellte
die Kerze sorgsam auf einen Vorsprung, der in der Höhe ihrer Hüfte aus der
unebenen Wand ragte, und deponierte das Bündel daneben. Dann hockte sie sich
auf den Boden, lehnte sich gegen die Wand und legte ihre dumpf pochende Hand in
den Schoß, zu müde zum Lesen oder um etwas zu essen. Sie musste erst ein paar
Minuten verschnaufen.
Die Kerzenflamme begann zu
flackern und schickte tanzende Schatten über die Decke des Ganges. Sallie rieb
sich die Augen. »Hallo?«, rief sie gedämpft. »Redzep, bist du es?«
Leise Geräusche, aber keine
Antwort. Ein Rascheln, ein Kratzen und Schaben, ein verstohlenes Huschen,
Stille.
Sallie zuckte die Achseln und
schlug das Buch auf. Sie rieb eine Birne an ihrer Schürze und biss hinein, während
ihre Augen über die Seite wanderten. Das flackernde Kerzenlicht ließ die Buchstaben
auf den Zeilen tanzen wie dürre kleine
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