Der Nebelkönig (German Edition)
sauber?
Die Schürze. Sicher war die
Schürze schon verrutscht. Die Schleife. Die Zöpfe, die Fingernägel ...
Die großen Flügeltüren
öffneten sich und strahlender Kerzenglanz fiel in den Vorraum. Musik war zu
hören, die das Gemurmel, Gelächter und Stimmengewirr aus dem Saal untermalte.
»Ah«, seufzten einige Stimmen leise.
»Los, Mädchen«, hörte sie
Herrn Kostandin rufen. Sallie reihte sich in die Schar und nahm von einem unter
seiner gepuderten Perücke schwitzenden Diener ein Tablett in Empfang, mit dem
sie den Saal betrat. Die Gläser, die sie trug, klingelten leise, und das Licht
der tausend Kerzen funkelte wundersam in dem geschliffenen Kristall.
Wie sie es am Morgen geübt
hatten, ging Sallie mit ihrem Tablett umher, bis alle Festgäste, die in
lockeren, plaudernden Grüppchen herumstanden, etwas zu trinken hatten.
Dann eilte sie in den Vorraum
zurück, wobei sie mit kurzen Seitenblicken die wunderschönen Roben der Damen
bewunderte. Seide und Samt in leuchtenden Farben rauschten leise über das
Parkett, in aufgetürmten Frisuren steckten Federn und glitzernde Steine,
Dekolletés und Hände waren beladen mit Schmuck, Fächer bewegten sich träge vor
geschminkten Gesichtern und zierliche Füße steckten in noch zierlicheren
Seidenschuhen. Sallie fühlte sich trotz ihrer sauberen, gestärkten Kleider
neben dieser farbigen Pracht geradezu schäbig.
»Wie schön sie alle sind«,
flüsterte Marsela, die neben ihr darauf wartete, dass Herr Kostandin sie wieder
hinausschickte. »Und auch die jungen Herren ... ach, schau, der Blondgelockte.
Ist er nicht zum Träumen hübsch?«
Sallie folgte Marselas in die
Menge deutendem Zeigefinger. In der Nähe des Haupttisches stand eine kleine
Gruppe von lachenden, an ihren Gläsern nippenden Männern, nicht minder festlich
gewandet als die Damen. Über einer strahlend weißen Hemdbrust erkannte sie ein
lächelndes, rosig angehauchtes Gesicht, das einem wirklich ansehnlichen jungen
Mann gehörte. Er plauderte angeregt mit einem älteren glatzköpfigen Mann, der
Sallie seltsam bekannt vorkam. Sie runzelte die Stirn. Wo hatte sie dieses
Gesicht schon einmal gesehen?
»Träum nicht!« Einer der
Beiköche verpasste ihr einen Stoß in den Rücken. Sallie sah, dass Herr Kostandin
die Gäste zu Tisch bat. Also musste jetzt die Suppe aufgetragen werden. Aufgeregt
rieb sie die Hände an ihrem Rock. Frau Lulezime hatte sie für den Haupttisch
eingeteilt, »weil das so gewünscht wurde«. Der Wunsch fand offenbar nicht die
Zustimmung der Wirtschafterin, und Sallie konnte sich nach dem gestrigen Abend
denken, wer ihn geäußert hatte. Sie durchsuchte den Saal mit Blicken, aber der
Graue Herr war nirgends zu sehen, und auch Meister Korben schien sich zu verspäten.
Dann dachte sie eine lange
Weile weder an den Apotheker noch an den Grauen Herrn noch an sonst etwas
anderes außer der schwappenden, schweren und heißen Terrine mit Fleischbrühe
und hellen Klößchen, die sie auf der einen Seite der langen Tafel herumtragen
musste, während Marsela den Tischgästen daraus mit der großen Kelle auftat.
Ihnen gegenüber bediente ein anderes Suppengespann die Gäste der anderen
Tischseite.
»Warum machen das nicht auch
die Diener?«, flüsterte sie Marsela zu. Die Diener standen schweigend neben der
Anrichte, auf der die mit silbernen Hauben bedeckte Speisen auf den nächsten
Gang warteten.
Marsela zuckte die Achseln.
»Der Kammerherr wünscht es so.«
Sallie hätte sich am liebsten
vor Abscheu geschüttelt, aber das ging nicht, weil sie doch die Terrine trug.
Der Kammerherr saß am oberen
Ende der Tafel, gleich neben dem erhöhten Sitz, der wohl für den Hausherrn
reserviert war. Der Sitz war leer und der Platz war eingedeckt, aber offenbar
fand niemand etwas dabei, dass der Hausherr durch Abwesenheit glänzte. Sallie
erschien die Luft über dem leeren Platz ein wenig dichter und trüber als sonst
im Raum, ihr war, als hinge ein dünner Nebelschleier über dem Sitz.
Wahrscheinlich Rauch, der von den Kerzen herüberzog.
Kammerherr Krikor ließ sich
die feine Suppe auf den Teller schöpfen und kniff Marsela dabei fest in den Po.
Sallie ging schnell weiter,
ehe die grapschenden Finger des Kammerherrn auch bei ihr ans Ziel gelangten.
Sie arbeitete sich mit der immer leichter werdenden Terrine den Tisch entlang
und kehrte schließlich in den Vorraum zurück.
Die Atempause war aber nicht
von langer Dauer, denn jetzt mussten erneut Getränke serviert werden. Sallie
ging mit
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