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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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einer Karaffe die Tafel entlang, wich wieder den kammerherrlichen Fingern
aus und kam schließlich zu dem Glatzköpfigen, der ihr vorhin solches
Kopfzerbrechen gemacht hatte. Er nickte ihr zu, damit sie sein Glas nachfüllte,
und unterhielt sich dabei weiter mit seiner Tischnachbarin. Sallie füllte das
Glas, und als er es entgegennahm, fiel ihr plötzlich ein, woher sie ihn kannte.
Sie unterdrückte einen Ausruf und umklammerte fest die Karaffe, die ihr aus den
Händen zu gleiten drohte. Mit weichen Knien beendete sie ihre Runde und rettete
sich in das Vorzimmer zurück, wo sie sich für einige Atemzüge gegen die Wand
lehnen musste, so sehr zitterten ihr vor Schreck und Entsetzen die Beine. Der
Klang der Stimmen, das Klirren der Gläser und des Bestecks und die leise Musik
schwollen an und verebbten im Takt des Rauschens ihrer Ohren.
    »Was ist mit dir?«, hörte sie
jemanden sagen. »Du bist ganz blass, ist dir schlecht?«
    Sie konnte nicht antworten.
Das Gesicht des Glatzköpfigen stand ihr vor Augen, allerdings nicht der
gleichgültige Blick über die Schulter, den er ihr vorhin geschenkt hatte,
sondern das Albtraumgesicht, das sie seit der Abendgesellschaft des Kammerherrn
immer noch manchmal im Traum verfolgte. Grinsend und verbrannt glotzte es über
die Stuhllehne, und sein Besitzer war so tot wie ein gebackenes Spanferkel,
wenn der kahle Leka es aus dem Ofen holte.
    »Es geht wieder«, hörte sie
sich sagen. »Mir ist schwindelig geworden. Aber es geht wieder.« Sie löste sich
von der Halt schenkenden Wand und rieb sich fest übers Gesicht. Wahrscheinlich
hatte sie sich geirrt, und der Anblick des feisten Kammerherrn hatte in ihr nur
die Erinnerung an den schrecklichen Abend geweckt, und damit auch an den
Glatzkopf, der vor ihren Augen den Tod gefunden hatte. Der Mann am Tisch musste
ein anderer sein.
     
    Dann klatschte Herr Kostandin
in die Hände und ließ den Tanz der Teller und Schüsseln, Gläser und Flaschen in
seine zweite Runde gehen, und er duldete keine Verzögerung in einer der kunstvollen
Figuren. Sallie lief in ihren neuen Stoffpantinen, die Frau Lulezime ihr hatte
anmessen lassen, bis sie glaubte, ihre Füße würden abfallen und die Arme unter
dem Gewicht all des Geschirrs, der dampfenden Platten und schwappenden Karaffen
etliche Zentimeter länger werden. Sie hatte kein bisschen Atem und Muße übrig,
um über wundersam wieder vom Tod zurückgekehrte Tischgäste oder nicht anwesende
Apotheker und Hausherren nachdenken zu können. Mit vollen Schüsseln zum Tisch
laufen, mit leeren Tellern wieder zurück, dazwischen den kneifenden Fingern des
Kammerherrn ausweichen, Gläser nachfüllen, Speisereste vom Tisch und Boden entfernen,
verbrannte Finger im Vorbeilaufen an einer eiskalten Bouteille kühlen, um
endlich, endlich das Dessert im vorderen Zimmer erscheinen zu sehen!
    Sallie tat einen erschöpften,
erleichterten Schnaufer. All die Jahresfeste hatte sie in der Küche gearbeitet
und sich zu den anderen Bediensteten in den Lichterglanz des Saales gewünscht,
aber dieser Abend hatte ihr gezeigt, dass es ganz gleich war, wo ein Mädchen
hier im Haus arbeitete – in jedem Fall handelte es sich um ordentliche
Schufterei.
    Der letzte Gang des festlichen
Essens wurde aufgetragen, und dann reichte Sallie noch Schalen mit Obst herum,
während einige Gäste sich schon von den Tischen erhoben und plaudernd und
lachend im Saal verstreuten. Später am Abend würde es noch einen Mitternachtsimbiss
geben, aber zuerst wollten die Herrschaften tanzen, Karten spielen und sich
amüsieren.
    Neben dem Glatzkopf, der mit
einem Glas Dessert wein, Obst und Käse am Tisch sitzen blieb, hatte nun ein
anderer Platz genommen, der sich leise mit ihm unterhielt. Sallie näherte sich
ihm, um ihn nach seinen Wünschen zu fragen, als er ihr sein Gesicht zuwandte.
Sie erkannte ihn sofort wieder, er war der Spieler neben dem Kammerherrn
gewesen, der als Erster sterbend auf dem Tisch gelegen hatte.
    Sallie verschüttete ein paar Tropfen
Wein, die wie kleine Blutstropfen an ihrer Schürze hinabliefen, als sie sich
hastig zurückzog. Was war das für ein grausiges Essen, bei dem Tote am Tisch
saßen und plauderten und rauchten?
    Eine Weile blieb sie an der
Tür stehen und sah zu, wie die große Tafel von den Dienern abgeräumt und dann
beiseitegetragen wurde. An der fensterfreien Wand wurde sie wieder aufgebaut
und zwei Mädchen deckten sie für den Mitternachtsimbiss ein, während die Diener
eilig den Boden fegten, damit die

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