Der Neid eines Fremden
Nachrichtensprecher und Sportreporter, hatte eine Schwäche für Rosa, von der alle beim Sender wußten. Das hieß, alle außer Rosa, die seine romantischen Sticheleien und feurigen Blicke über den Rand eines Kaffeebechers aus Plastik für einen Scherz hielt. Manchmal hatte sie es satt, manchmal bemerkte sie es kaum, doch sie hatte ihn nie ernstgenommen.
»Seine schmachtenden Blicke werden heute wohl unerwidert bleiben müssen. Es scheint ihm nicht viel auszumachen. Apropos, wie steht's denn um dein Liebesleben?«
»Ach ... weißt du. Ein bißchen eintönig ...«
Als eintönig konnte man Louises Liebesleben eigentlich nie bezeichnen. Als Rosa sich einmal über die erstaunliche Fluktuation von Louises Liebhabern geäußert hatte, war die Antwort gewesen:
»Na ja, es ist halt wie mit Büchern, oder? Hat man sie einmal gelesen, will man nicht wieder von vorn anfangen. Man sucht sich ein anderes.«
Mit neunzehn war Rosa seit sechs Monaten verheiratet. Sie sah zu, wie Louise mit geschickten und einfühlsamen Fingern das Kontrollpult bediente, und dachte, wie schön es wäre, wenn das Mädchen ein bißchen mehr Ehrgeiz entwickeln würde. Sie hatte eine heitere, offene Persönlichkeit, war intelligent und sprühte vor Energie, begnügte sich aber damit, von einem Tag zum nächsten zu leben, ohne sich Gedanken um ihre Zukunft zu machen. Rosa kam nicht umhin, sie mit Sonia zu vergleichen, die zwar viel Ehrgeiz entwickelte, aber nichts hatte, mit dem sie ihm gerecht werden könnte. Als habe sie ihre Gedanken erraten, meinte Louise:
»Hast du heute schon Rebecca von der Sunbrooke Farm gesehen?«
»Nein. Und ich werde mich schleunigst davonmachen, bevor es dazu kommen kann. Außerdem hat sie genug zu tun.«
»Dann geh' lieber nicht in dein Büro. Ich habe gehört, wie Duffy zu ihr sagte, in deinem Zimmer wäre das Arbeiten sehr viel angenehmer als in der Redaktion.«
»Dieser Mistkerl!« Rosa mußte lachen. »Dann mach' ich mich jetzt auf den Weg.«
»Bis bald.«
Louise zog ihren siebten Marsriegel aus der knisternden, braunen Verpackung, als Rosa die filzbeschlagene Tür aufstieß. Gleich um die Ecke stieß sie auf Sonia und machte sich auf einen ihrer zuckersüßen Wortschwalle gefaßt, doch Sonia wandte sich ab, als habe sie Rosa nicht gesehen. Sie trug ein Tablett mit einer Kaffeetasse und war ziemlich rot im Gesicht.
Der Brief war gekommen. Diesmal war er nicht ruhig geblieben, sondern hätte vor lauter Ungeduld fast den Umschlag zerrissen. Ungläubig starrte er jetzt auf das Stück Papier in seiner Hand und setzte sich auf einen Stuhl. Er konnte es einfach nicht glauben. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihm persönlich zu antworten. Es war ein vorgedrucktes Formular, in das mit Tinte sein Name eingesetzt war. Sie hoffte, er hätte »Verständnis für eine so unpersönliche Antwort«, doch die »überwältigende Postmenge« mache es ihr leider unmöglich, jeden Brief persönlich zu beantworten, so gern sie es auch wollte.
So gern sie es auch wollte! Was für ein Quatsch! Er umschloß den Brief so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Obwohl sie clever war. Sehr geschickt, wie sie ihn auf die Wichtigkeit ihrer Person hinwies. Wie sie ihm vorzumachen versuchte, daß sie sich vor Fanpost kaum retten könnte und ihr Leben aus lauter wichtigen Dingen bestand. Wirklich verdammt geschickt!
Er ging zu seinem Tisch hinüber und starrte ihr Bild an. Vor Wut und Enttäuschung schossen ihm Tränen in die Augen. Und jetzt konnte er nichts mehr ändern. Die Würfel waren gefallen, wie man so schön sagte. Als das Messer seine linke Hand verlassen hatte, war seine Entscheidungsfreiheit mit ihm gegangen. Er war wie ein Bittsteller, der sich vor das Orakel gekniet und darauf gewartet hatte, daß ihm sein Schicksal kundgetan wurde; daß ihm der Weg gewiesen wurde. Und sie war sein Schicksal.
Er nahm wieder auf dem harten Stuhl Platz. Er zwang sich, ruhiger zu atmen und die Muskeln zu entspannen. Die Finger seiner rechten Hand waren gekrümmt wie die Fänge eines Raubvogels. Einzeln streckte er sie aus. Der Brief fiel zu Boden. Er hob ihn auf und glättete ihn. Und dann fiel ihm etwas auf.
Die Ablehnung hatte ihn so überwältigt, daß er versäumt hatte, den Brief bis zu Ende zu lesen. Als er jetzt den letzten Absatz überflog, bemerkte er, daß der Brief überhaupt nicht von Rosa Gilmour stammte. Zwar kam er aus ihrem Büro, aber
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