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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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den Rücken zu und ließ Fenn damit Zeit, diesen glücklichen Zufall zu verdauen. Er bemühte sich, seine Fantasie zu bremsen, die ihm vorzugaukeln versuchte, in diesem äußerst vorteilhaften Zusammentreffen liege bereits die Antwort auf seine Schwierigkeiten. Er mußte sehr, sehr vorsichtig sein. Er ging zum Büfett zurück.
      »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich diese hier zurückgebe?« Er stellte den Teller mit den zwei Appetithäppchen auf den Tisch. »Ich fürchte, das Essen ist bei diesen Meetings immer dasselbe.« Das war geschickt. Erweckte einen Eindruck von Zugehörigkeit. »Ich bin mir sicher, daß ein einziger Großlieferant die meisten dieser Veranstaltungen beliefert.« Er machte eine Pause, fügte dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu: »Wahrscheinlich Dunlop.«
      Sonia blickte ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Seit ihrem Eintreffen vor zwei Stunden hatte sie sich gefragt, wieso sie sich so lange danach gesehnt hatte, an der Saturday Show teilzunehmen. Sie hätte wissen müssen, wie es bei solchen Veranstaltungen zuging. Sie hatte in der Umkleidekabine gesessen und war von den anderen Mädchen kaum beachtet worden, obwohl sie tagtäglich mit ihnen zu tun hatte. Sie trug eine weiße Bluse aus englischer Spitze und ein schwarzes Kostüm, das sie für ausgesprochen elegant hielt.
      Das Kostüm hatte sie bei Brown's ein Vermögen gekostet. Sie gab einen großen Teil ihres Gehalts für Kleidung aus, doch die Wirkung war nie perfekt. Nie sah sie annähernd so gut aus wie Louise, die in der Portobello Road nicht mehr als einen Fünfer ließ und aussah, als habe sie den ganzen Tag bei Yves St. Laurent verbracht. Bei Sonia war das Gegenteil der Fall.
      Als sie sich zu den Tischen aufgemacht hatten, war sie sich ihrer Wirkung mit grausamer Klarheit bewußt geworden. Sie wirkte wie das häßliche Entlein in einer Schar von Schwänen. Diese Erkenntnis hatte ihr den letzten Rest an Selbstbewußtsein geraubt, und sie hatte sich vorgenommen, im Hintergrund zu bleiben, bis alles vorbei war und sie sich in die sichere Sphäre ihrer Fantasie zurückziehen konnte. In den Glauben, daß eines Tages die große Verwandlungsszene kommen würde und alles anders wäre. Und jetzt war einer der Gäste auf sie zugekommen, um für heute seine gute Tat zu tun, da er sie in ihrer Einsamkeit bemitleidete. Sein Tonfall war eindeutig herablassend. Und sein gutes Aussehen trug nur zu ihrer Verwirrung bei.
      »Ich weiß nicht. Ich bin nicht oft bei solchen >Meetings<, wie Sie es bezeichnen. Das Hilfspersonal setzt sich meist aus Schreibkräften zusammen. Diesmal war es nur so, daß eines der Mädchen im letzten Augenblick wegen Krankheit ausgefallen ist und ich mich angeboten habe einzuspringen.«
      Natürlich durchschaute er ihre Lüge. Doch er wußte ihre defensive Haltung zu schätzen. Irgendwie mußte er sich ihr Vertrauen sichern. Im Moment gehörte er offensichtlich zur anderen Seite. Er beschloß, ein kalkuliertes Risiko zu wagen. Er setzte auf ihr Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit und auf ihre Vorstellung von Anstand.
      »Es tut mir schrecklich leid. Ich... ich war ein wenig verwirrt. Mädchen wie die da ...«, er wies mit dem Kopf nach hinten, »so bunt aufgemacht und so abweisend. Ich finde sie ziemlich verwirrend. Ich fürchte, ich bin ein Stück zu weit gegangen.« Mit trockenem Mund wandte er sich ab.
      »Oh! Bleiben Sie doch.« Dankbar für das Eingeständnis seiner Verletzlichkeit lächelte Sonia ihn an. »Ich bin es, die sich entschuldigen muß. Immerhin bin ich als Hosteß hier, und bislang habe ich mich kaum um Sie gekümmert. Ähem ... darf ich Ihnen noch einen Appetithappen anbieten?«
      Er wandte sich ihr zu. Sie hatte bereits seinen Eröffnungssatz vergessen, was daraufhindeutete, daß sie verwirrt war. Ein gutes Zeichen. Das Blatt begann sich zu seinen Gunsten zu wenden.
      »Eigentlich nicht.« Er lächelte zurück. »Trotzdem vielen Dank.«
      »Ein Glas Wein ...« Er hatte sein Glas auf einem anderen Tisch stehenlassen. »Sie scheinen noch keinen zu haben.«
      Er zögerte. »Wenn Sie mich so fragen... aber nur ein halbes Glas ... Um ehrlich zu sein, ich trinke selten.«
      »Ich auch. Ich meine ... ich auch nicht.«
      Das war weit gefehlt. Daheim in ihrer kleinen Wohnung, der Notwendigkeit entledigt, immer freundlich tun zu müssen, sinnierte Sonia oft einen ganzen Abend lang - und einmal in der Woche ein ganzes Wochenende - vor sich hin und

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