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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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leerte den Gutteil einer Flasche, bevor sie ins Bett ging. Froh darüber, sich vor der Sendung ein paar Gläser Wein genehmigt zu haben, schenkte sie jedem von ihnen ein halbes Glas ein.
      »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns irgendwo hinsetzen würden?«
      Sonia sah sich um. Die meisten Stühle waren besetzt, doch die Treppe zum Podium war mit einem dicken Teppich ausgelegt und von Topfpalmen umgeben und ermöglichte deshalb ein ungestörtes Gespräch. »Wie wär's mit dort drüben?«
      »Wunderbar.« Er folgte ihr, und sie setzten sich mit ihren Gläsern auf die Treppe. Sie taxierten einander: Sonia verstohlen, Fenn ruhig und freundlich.
      Er fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Ihr Alter mußte sich irgendwo zwischen achtundzwanzig und fünfunddreißig bewegen. Sie hatte dünnes Haar, das sich, obwohl offensichtlich erst vor kurzem sorgfältig gemacht, bereits löste und in Strähnen zerfiel. Auf ihrem Kragen lagen Schuppen. Ihre Augen waren haselnußbraun. Ihr Lippenstift war viel zu hell, und sie hatte den Fehler gemacht, ihre schmalen Lippen weiter zu schminken, ohne sie vorher aufzuhellen, was den Eindruck erweckte, als hätte sie zwei Münder. Sie trug ein schwarzes Kostüm und eine Spitzenbluse, die ihre, soweit er es beurteilen konnte, praktisch nichtexistenten Brüste bedeckte.
      Sonia war ihrerseits froh, daß sich ihr erster Eindruck von seinem guten Aussehen auf den zweiten Blick nicht ganz bestätigte. Seine eng beieinanderliegenden Augen hatten eine äußerst ungewöhnliche Farbe. Die bernsteinfarbenen Pupillen hatten eine längliche Form. Sie fühlte sich an Ziegenaugen erinnert. Seine Nase zog sich wie das Nasenstück eines römischen Helms in einer geraden Linie von den Augenbrauen zum Mund hinunter. Seine Unterlippe war sehr voll, gab ihm einen mürrischen Ausdruck, und sein Nacken war von Aknenar-ben übersät. Hals und Hände waren feuerrot, als würde er sie häufig und unnachgiebig schrubben. Seine Fingernägel waren erfreulich sauber, und er strömte einen süßlichen, antiseptischen Geruch aus.
      Seine Kleidung war für jemanden, der zur Rockszene gehörte, äußerst ungewöhnlich. Hemd und Krawatte waren farblich aufeinander abgestimmt, er trug eine Trevirahose, und aus seiner Jackentasche ragte ein sorgfältig arrangiertes Taschentuch. Natürlich könnte das der neuste Schrei sein (wie die neuerdings wieder so beliebten Leinentapeten), doch das wagte sie zu bezweifeln. Er strahlte nicht die Selbstsicherheit und erst recht nicht die exzentrische Überheblichkeit aus, die der Avantgarde zu eigen war. Nein. Was die Kleidung betraf, lag er vollkommen daneben.
      Sobald er das Studio betreten hatte, war Fenn aufgefallen, daß die meisten Radioleute Jeans oder Cordhosen trugen, die sie mit uni- oder regenbogenfarbenen Pullovern und Lederjacken kombinierten. Als er bemerkte, wie Sonia ihn taxierte, erriet er ihre Schlußfolgerung. Es schmerzte ihn, zugeben zu müssen, wie falsch er mit seiner Kleidung lag, doch er mußte sich damit abfinden, um ihren falschen Eindruck so weit wie möglich korrigieren zu können.
      »Ich hoffe, Sie denken nicht, daß ich immer so herumlaufe.« Angewidert zeigte er auf seine Trevirahose. Er hätte sie gern so weit wie möglich von sich gewiesen.
      »Na ja ...« Sonias unansehnliche Haut rötete sich, als ihr bewußt wurde, daß er ihre Gedanken erraten hatte. Dabei überzog sich ihr Gesicht allerdings weniger mit einer leichten Röte als mit ungleichmäßig verteilten roten Flecken. In diesem Zustand der Verwirrung schien ihre Nase noch länger zu werden, als sie ohnehin schon war.
      »Ich bin auf einer Vorsprechprobe gewesen. Hab' diese blöde Rolle gespielt. Wissen Sie ... so 'nen miesen kleinen Typen, der immer der Zeit hinterherhinkt.« Das tat weh, aber er mußte überzeugend wirken. »Ich hab' mir gedacht, ich hätte mehr Chancen, wenn ich wirklich so aussehe.«
      »Ach ... Sie sind Schauspieler! Aber wie kommen Sie dann hierher?«
      »Es ist eine Übergangssache ...« Fenn sah zum Rest der Gruppe hinüber, der sich, benommen vom Alkohol und dekoriert mit weiblichem Fleisch, auf den Weg zu den Türen machte, die zu den verlassenen Büros führten. Er winkte. Der zweite Gitarrist hob eine Faust in der Größe eines Schinkens und rief ihm etwas Unverständliches zu.
      »Kenton ist ein Freund von der Schauspielschule. Er hat mich gebeten, ihnen bei der Öffentlichkeitsarbeit zu helfen.«
      Sonia, die nun

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