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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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abholen.«
      Aber nicht in diesem Aufzug, dachte er, als er eine halbe Stunde später ein Herrenbekleidungsgeschäft in der Nähe des Piccadilly Circus betrat. Der Trick mit der Vorsprechprobe hatte einmal gewirkt, aber das war noch lange kein Grund, heute abend in derselben Kleidung bei ihr aufzukreuzen. Aufgekratzt lief er durch die hohen Räume aus Chrom und Glas.
      Er entschied sich für eine enggeschnittene, dunkelbeige Cordhose, einen weichen, kamelhaarfarbenen Pullover mit einem runden Ausschnitt und einem Firmenzeichen von Pringles und für einen modischen Blouson aus Antilopenleder. Den Verkäufer in der Herrenabteilung bat er, die Jacke und die Hose mit ins Untergeschoß nehmen zu dürfen, um sich einen passenden Pullover auszusuchen, und der Dame in der Strickabteilung erklärte er, er werde den Pullover mit nach oben nehmen, um zu prüfen, ob er farblich zu der Jacke passe. Beide stimmten mit einem zuvorkommenden Lächeln zu.
      Er ging in eine Ankleidekabine, trennte mit einem Messer die Sicherungsplaketten ab und zog die neuen Kleidungsstücke an. Sie saßen perfekt. Sie ließen ihn größer erscheinen. Selbst seine Haut schien eine andere Tönung anzunehmen, wirkte weicher, fast ein wenig gebräunt. Er steckte Geld, Messer und Schlüssel in die Tasche seiner neuen Hose und schlug den Vorhang zurück.
      Samstag war ein guter Einkaufstag. In den Geschäften waren viele Leute unterwegs. Er schob den Vorhang weiter auseinander. Er konnte nur einen Verkäufer sehen, und der versuchte gerade, zwei Kunden gleichzeitig zu bedienen. Fenn holte tief Atem und trat aus der Kabine. Er ging quer durch den Geschäftsraum. Neben der Treppe hing ein Spiegel. Falls ihn irgend jemand beobachtet hätte, könnte er so tun, als habe er sich nach einem Spiegel umgesehen, in dem er sich bewundern konnte. Als er beim Spiegel angelangt war, hielt unmittelbar daneben ein Lift. Die Türen öffneten sich. Zusammen mit einigen anderen Kunden schlich er sich hinein, und zwei Minuten später fand er sich auf der Straße wieder.
      Es war ein großartiges Gefühl. Obwohl er leicht schwitzte (er spürte, wie die Schweißperlen auf seiner Oberlippe abzukühlen begannen), fühlte er sich wie im siebten Himmel. Und er trug sehr elegante Kleidungsstücke im Wert von - er kramte die Preisschilder aus seiner Tasche - dreihundertsechsundneunzig Pfund.
      Er war von seinem neuen Aussehen so hingerissen, daß er sich kaum davon abhalten konnte, einem Taxi zu winken. Bei diesem Tempo würde sein Stempelgeld nicht lange vorhalten. Bei dem Gedanken, jetzt in die heruntergekommene und schäbige Gegend zurückzukehren, in der er wohnte, empfand er nichts als Abscheu; die Zeit bis zu seiner Verabredung mit Sonia wollte er sich anders vertreiben. Er verlangsamte seinen Gang. Er stand vor der Royal Academy. Ein Aufenthalt dort wäre warm und kostenlos, aber langweilig. Und auf der gegenüberliegenden Seite? Die Uhr von Fortnum's schlug zwei, und die berühmten Figuren zockelten vor und zurück. Er überquerte die Straße. Ein Aufenthalt bei Fortnum's wäre warm und kostenlos und alles andere als langweilig. Er betrat das Gebäude.
      Als er über die weichen Teppiche ging, atmete er tief und genüßlich den reichen, ambrosischen Duft ein. Im Erdgeschoß war es ein Gemisch aus reifen Früchten und Kaffee, aus Schokolade und Gewürzen und honigsüßen Leckereien, und über alldem lag ein unbestimmbarer Geruch, ein Destillat aus allem, was exklusiv, außergewöhnlich und teuer war. Der Geruch des Geldes.
      Hinter der Tür stand gleich zu seiner Rechten ein großer Obstkorb. Scheinbar achtlos waren die Früchte darin arrangiert. Pfirsiche mit schimmernder, flaumiger Haut; vollkommen geformte Nektarinen. Sie lagen auf frischen Farnen und Gräsern. Daneben stand ein Korb mit Walderdbeeren von der Größe eines Daumennagels. Er fragte sich, woher diese Köstlichkeiten im November wohl kommen mochten.
      Er ging zur Weinabteilung hinüber. Dort waren Schreibtische und vornehme Stühle bereitgestellt; ein übergewichtiger Mann in einem Nadelstreifenanzug besprach seine Weinliste mit einem jungen Mann, der sich in tadelloser und höflicher Manier mit ihm beschäftigte - obwohl er in der dicken Zigarrenwolke seines Kunden fast ersticken mußte.
      Fenn schlenderte an kunstvoll aufgebauten Gläsern mit eingemachtem Ingwer und Honig entlang, die mit einem chinesischen Muster aus Drachen und Blumen bemalt waren. Er passierte die Lebensmittel

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