Der neue Frühling
ließ sich Thu-Kimnibol plötzlich auf einen Diwan in der Nähe des Königs sinken und sprach: »Genug davon, Gevatter. Laß mich nun zu meinen Aufträgen kommen. Vor einigen Monaten tauchte in unsrer Stadt ein seltsamer Fremder auf. Ein junger Mann, fast noch ein Knabe. Er kam auf einem Zinnobären aus dem Norden geritten. War unserer Sprache kaum kundig und brachte nur Hjjk-Laute hervor und vielleicht ein, zwei Brocken aus der Volkssprache. Wir konnten nicht herausbringen, woher er kam, was er wollte oder wer er war, bis Hresh, unter Anwendung von Tricks, wie sie nur Hresh kennt, mit der Hilfe des Wundersteins in sein Bewußtsein eindrang. Dabei entdeckte er, daß der Fremdling ursprünglich aus unserer Stadt stammte und als Kind, vor etwa dreizehn Jahren, gestohlen worden war.«
»Gestohlen von den Hjjks, willst du sagen?«
»Richtig. Dort wurde er von ihnen im Nest-der-Nester aufgezogen. Und nun haben sie ihn zu uns zurückgeschickt – als Gesandten mit einer Botschaft, dem Angebot der Liebe und des Friedens der Königin. Sagt Hresh.«
»Ach?« sagte Salaman. »Zu uns ist auch so jemand vor einer Weile gekommen. Ein Mädchen. Sie hat uns den ganzen Tag lang auf hjjkisch angefaucht und angespuckt. Wir konnten nicht schlau draus werden.«
»Sie kannte ein paar Wörter aus unsrer Sprache, Vater«, sagte Chham.
»Ja ja, stimmt. Sie brabbelte uns was von der Größe und Macht der Hjjkkönigin vor und von ihrer hochgöttlichen Wahrheit. Oder ähnlichen Quatsch. Wir schenkten dem weiter keine Aufmerksamkeit. Wann war denn das, Chham?«
»Ich glaube, es war im Erstmond.«
»Im Erstmond, richtig. Und was geschah dann weiter? Ach ja, ich erinnere mich. Sie hat zu fliehen versucht, war es nicht so, und wollte wieder zurück zu den Hjjks?«
»Ja«, antwortete Chham. »Aber Poukor holte sie vor der Mauer ein und tötete sie.«
» Tötete sie?« Thu-Kimnibol klang erstaunt, er riß weit die Augen auf.
Diese Demonstration scheinbaren Zartgefühls fand der König belustigend, ja geradezu rührend sentimental. Oder war auch damit wieder eine Zurechtweisung beabsichtigt? Salaman fuhr mit weitausholenden Armbewegungen majestätisch durch die Luft. »Was hätten wir denn sonst machen können? Sie war ganz offenkundig eine Spionin. Wir konnten nicht zulassen, daß sie mit allem, was sie bei uns herausgefunden hat, ins Nest zurückkehrt.«
»Warum habt ihr sie nicht einfach in eure Stadt zurückgebracht? Sie gut gefüttert, ihr die Sprache beigebracht? Sie hätte bestimmt früher oder später ihre Hjjkischkeit abgestreift.«
»Würde sie das getan haben?« fragte der König zurück. »Ich bezweifle das sehr stark. Dem äußeren Anschein nach war sie wie eine aus dem VOLK, aber in ihrer Seele war sie eine Hjjk. Und daran hätte sich nie was geändert. Sobald die dir erst einmal das Gehirn vergiftet haben, bist du nie wieder wie vorher. Besonders wenn dir das in jungen Jahren passiert. Nein, Cousin, es hätte nicht lang gedauert, und sie wäre wieder zu denen zurückgeflohen. Also war es besser, sie zu töten, als das zu riskieren. Es ist ein schrecklich schandbares Übel, daß ein Mädchen aus unserem VOLK im NEST hausen sollte. Mitten unter diesen widerwärtigen Kreaturen. Schon der bloße Gedanke erregt selbst den Göttern Übelkeit.«
»Dem würde ich zustimmen. Dennoch, sie einfach so abzuschlachten – ein Mädchen, eine Jungfrau…« Thu-Kimnibol zuckte die Achseln. »Je nun, das ist nicht meine Angelegenheit. Dennoch glaube ich, daß sie vielleicht doch keine Spionin war. Vielleicht war sie zu euch gesandt als Botschafter, genau wie dieser Kundalimon – so heißt er – zu uns entsandt wurde. Hresh sagt, derartige Gesandtschaften sind in alle Sieben Städte ergangen.«
»Dem mag sein, wie ihm will. Wir sind an Botschaften von den Hjjks nicht interessiert«, erwiderte Salaman gleichgültig. »Aber Hresh muß da ja zwangsläufig andrer Ansicht sein. Weiß er zufällig auch den Grund, warum die Königin solch ein Diplomatenkarussell veranstaltet?«
»Die Königin bietet uns ein Abkommen an«, sagte Thu-Kimnibol.
Salaman saß plötzlich kerzengerade. »Ein Abkommen? Was für ein Abkommen?«
»Einen Friedensvertrag, mein Cousin. Quer über den ganzen Kontinent soll von Vengiboneeza bis zur östlichen Küste eine imaginäre Linie gezogen werden. Die Hjjks verpflichten sich, außer auf Einladung nie über diese Grenze in unser Gebiet zu kommen, vorausgesetzt natürlich, daß wir nicht in eines ihrer Territorien
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