Der neue Frühling
scharfe kleine Geschosse, die stachen und schnitten und brannten wie erstarrte Federtropfen. Und diese Nacht ist es sogar noch wilder draußen. Und über dem Osten lagert sich eine Finsternis, die Schnee erwarten läßt.
Das Jahr wechselt das Gesicht. Es wird rascher dunkel. Die ersten Vorboten der Winterstürme fegen durch die Stadt Yissous.
Für Salaman bedeutete der Anbruch der rauhen Jahreszeit auch eine Menge neuer Probleme. Das war zwar jedes Jahr so, aber es war eben in jedem Jahr immer ein bißchen schlimmer geworden. Mit wachsendem Alter hatte seine Spannkraft nachgelassen. Und sein sowieso schwarzgalliges Gemüt verdüsterte sich noch mehr, wenn die schwarzen Stürme wiederkehrten, und dies von Jahr zu Jahr immer mehr. Diesmal schien ihn die Melancholie schlimmer als je zuvor zu packen. Seit dem Wetterumschwung schien ihm das letzte Geduldsfaserchen abhanden gekommen zu sein, und er bestand nur mehr aus zänkischem Zornesbeben. Am meisten traf das natürlich jene, die ihm am nächsten standen, und die traten ganz leise auf. Alles und ein jeglicher ging ihm in die Quere. Sogar Thu-Kimnibol, sein Ehrengast, sein geliebter und hochgeschätzter Freund, dem am heutigen Abend der Ehrenplatz am Busen des Königs eingeräumt worden war, den er vor so langer Zeit angestrebt hatte – über den Königssöhnen Chham und Athimin –, sogar er ging Salaman auf die Nerven.
»Wahrlich, beim Vernichter«, sagte Thu-Kimnibol, »dieser Wind schneidet regelrecht durch die Mauern!« Man servierte gerade die gebratene Thandibar-Keule. »Ich hatte völlig vergessen, wie scheußlich das Wetter im Winter bei euch ist!«
Salaman, dessen Augen vom Wein bereits gerötet waren, goß sich erneut ein. Thu-Kimnibols Bemerkung hatte ihn getroffen wie eine Ohrfeige, und er fuhr herum und starrte seinen Gast zornig an.
»Ach, du sehnst dich nach eurem angenehmen Klima in Dawinno, ja? Ihr habt ja dort überhaupt keinen Winter, hör ich? Nun, du wirst bald genug wieder daheim sein.«
Einen Winter, also, was man so einen richtigen Winter nennen kann, hatte das VOLK in den Vengiboneezer Tagen nicht durchstehen müssen. Die Stadt lag kuschelig angenehm, zwischen den Bergen und dem Meer, in einem begünstigten Klimabereich, in dem die ‚kalte’ Jahreszeit kurz und mild verlief und außer zeitweiligen ausgedehnten Regenfällen nichts Schlimmeres geschah. Und Dawinno-City, noch weiter südlich gelegen, badete das ganze Jahr über in warmen mildwehenden Luftströmungen. Aber die Stadt des Königs Salaman, so geschützt sie auch in dem uralten Kraterloch eines Todessterns liegen mochte, war von Osten her offen für die scharfen Stürme, die zur Jahresneige aus dem Herzen des Kontinents herüberbliesen, wo der Lange Winter noch immer nicht völlig losgelassen hatte.
Der Winter in Yissou war kurz, konnte aber grausam sein. Wenn die Schwarzwinde wehten, rissen sie das Laub von den Bäumen, und der Erdboden vertrocknete und wurde unfruchtbar. Die Feldfrüchte verdarben, und das Vieh magerte zu klapperdürren Skeletten ab.
Manchmal, wenn auch nicht oft, gab es Schnee. Die Herzen der Frauen und Männer in der Stadt wurden in den Zeiten der Stürme verdrießlich und verstockt. Alle Großmut ging ihnen verloren, und es herrschte allgemein ein Klima der Gereiztheit; zwischen Freunden und Gefährten brach erbitterter Zank aus, und es kam sogar zu Gewalttaten. Und obwohl die böse Zeit nur ein paar Wochen dauerte, betete doch ein jeder beständig, sie möge endlich enden; so wie dies längst vergessene Generationen der Ahnen im Langen Winter getan hatten.
»Und es kommt noch übler«, sagte Salamans Gefährtin Thaloin mit düster-trostloser Stimme. »Du hast Glück, Prinz, daß du fortreisen kannst. In ein, zwei Wochen sieht es hier aus, wie wenn der Lange Winter zurückgekommen wäre.«
»Halt den Mund!« befahl Salaman ihr brüsk.
»Aber, mein Herr, du weißt doch, es ist wahr! Der Wind da, das ist doch erst der Anfang!«
»Wirst du den Mund halten, Weib!« brüllte Salaman und hieb die flache Hand so heftig auf den Holztisch, daß die Gläser und Gedecke hüpften und etlicher Wein verschüttet wurde.
Und zu Thu-Kimnibol sprach er: »Weiberhafte Übertreibung. Jetzt, wo sie alt wird, geht ihr das kalte Wetter in die Knochen und macht sie mißlaunig. Ich aber versichere dir, es gibt hier bei uns nur ein paar Wochen lang ab und zu ein bißchen ärgerlichen Wind und manchmal ein bißchen Schnee, dann kommt auch schon der Frühling.« Er lachte
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