Der Nine-Eleven-Junge - Bruton, C: Nine-Eleven-Junge - We can be heroes
dann ist die Polizei da. Auf der anderen Seite der Straße sehen wir Priti und Zara, die von ihrem Fenster aus zuschauen. Zara sieht viel jünger aus im Pyjama und mit offenem Haar. Wir winken, und sie winken zurück – sogar Zara. In dem Licht lässt es sich nur schwer sagen, aber ich könnte schwören, sie hat ein blaues Auge.
Dann kommt Oma in unser Zimmer und sagt uns, wir sollen zu Bett gehen. Irgendwann schlafen wir wohl ein, denn ich träume die ganze Nacht von Lil’ Priti, Jed-Eye und Ben-D, wie sie ein vermisstes kleines Mädchen suchen. In meinem Traum ist es aber Blythe, die verschwunden ist, nicht Stevie, und irgendwann verwandelt sie sich in Mum. Ich suche überall nach ihr, aber ich finde sie nirgendwo.
Mitten in der Nacht wache ich mit einem Kater auf (wenigstens glaube ich, dass es ein Kater ist, denn mir tut der Kopf weh, und mir ist schlecht). Als ich nach draußen sehe, steht das Polizeiauto noch immer auf der Straße, und ich weiß, dass Stevie noch nicht gefunden wurde.
15. August
Wenn ein Kind verschwindet, geschieht etwas Merkwürdiges: Plötzlich verhalten sich alle ganz anders als früher. Sämtliche Anwohner in der Sackgasse tun mit einem Mal, als wären sie die besten Freunde von Stevies Eltern, auch wenn die gleichen Leute sich, wie Oma erzählt, schon seit Jahren über den Zustand ihres Vorgartens und über ihre schreiend-protzige Weihnachtsbeleuchtung aufregen. Am frühen Morgen kommen alle aus den Häusern, in Pantoffeln und Bademänteln, stehen mitten auf der Straße zusammen und unterhalten sich leise; Nachbarn, die einander seit Jahren kaum noch grüßen – sagt Opa –, sind plötzlich die dicksten Kumpel.
Noch etwas anderes fällt mir auf: Alle blicken ständig auf die Armbanduhr. Jed sagt, das liegt daran, dass Fälle wie dieser zeitkritisch sind.
Doch bis auf den Polizeiwagen, der ununterbrochen vor dem Haus der Sanders steht, und den Umstand, dass die Nachbarn sich in Pantoffeln über die Goldregenbüsche hinweg miteinander unterhalten, zeigt nichts, dass hier gestern etwas geschehen sein könnte. Opa hat vorher gesagt, dass die Sackgasse nach der Party voller Müll sein würde, und sämtliche Blumenbeete wären zertrampelt, aber tatsächlich ist alles tipp-topp sauber, und ich vermute, die Muhammeds haben gestern bis spät in die Nacht aufgeräumt. »So viel zu Shakeels Hochzeitsnacht«, sagt Jed, was ihm einen warnenden Blick von Oma einbringt.
Mr. Muhammed steht mit einer Farbdose in der Gasse und übermalt die neuen Graffiti, die auf den Zaun geschmiert sind,und wir hören, wie er der alten Mrs. Underwood aus Nummer 21 sagt, seine Söhne hätten die Scherben auf dem Spielplatz aufgesammelt, damit die Kinder sich daran nicht verletzen.
Wir gehen nicht zu Priti hinüber. Oma sagt, Jed und ich müssen im Haus bleiben, damit wir nicht auch noch verschwinden – so als ob es in der Sackgasse plötzlich ein Schwarzes Loch oder ein Bermudadreieck gäbe. Jed und ich gammeln also im Haus herum. Ich zeichne, während Jed immer wieder neue Theorien über Stevies Verschwinden präsentiert.
»Vielleicht ist sie von Außerirdischen entführt oder durch einen Zeitstrudel in ein anderes Jahrtausend versetzt worden«, sagt er.
Ich zeichne eine Fliegende Untertasse, die über der Sackgasse schwebt, und ein Strahl zieht Stevie Sanders auf ihrem rosa Fahrrad mit den Troddeln an den Lenkergriffen in den Bauch des Raumschiffs.
Oma erwidert, Jed hätte wohl zu viel Dr. Who geguckt. Dann seufzt sie und sagt, dass Stevies Eltern wahrscheinlich froh wären, wenn jetzt eine TARDIS mit Stevie darin auftauchen würde.
Ich zeichne ein Bild, wie Stee-V (ich finde, dass Stevie jetzt auch im Bombenjäger-Comic auftauchen darf) von kleinen grünen Männchen entführt wird, während Jed-Eye und Ben-D das Raumschiff mit Schwertern angreifen. Lil’ Priti steht ungerührt dabei und isst einen Liebesapfel.
Gegen zehn Uhr morgens kommt noch ein Polizeiwagen. Zwei Beamte steigen aus und klappern alle Häuser in der Sackgasse ab.
»Kommen die auch hierher?«, fragt Jed.
»Ich würde meinen, sie werden mit jedem hier sprechen wollen«, sagt Oma.
»Wahrscheinlich«, erwidert Jed, und danach spricht er kein Wort mehr von UFOs und Zeitreisen.
Schließlich klopfen sie auch bei uns – ein älterer Polizist und eine junge Polizistin, von der Opa sagt, sie sehe nicht aus, als könnte sie schon die Schule hinter sich haben. Oma macht ihnen einen Tee, und sie sprechen zuerst mit unseren Großeltern,
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