Der Nobelpreis
ausrichtete.« Hans-Olof knetete seine Hände. Es schien ihm in der Tat peinlich zu sein. »Du musst dir das so vorstellen, dass sie mit dem jeweiligen Studenten allein war. Solche Messungen macht man in Kellerräumen, die gegen alle möglichen Störungen isoliert sind. Der Student sitzt in dem Sessel, den Kopf fest eingespannt, sodass er nicht viel Auswahl hat, wohin er blicken kann. Vor ihm, wie gesagt, der Bildschirm, auf dem Buchstabenkombinationen erscheinen. Es scheint loszugehen, aber nach ein paar Minuten sagt Sofía Hernández, dass irgendwas nicht stimmt und sie die Sonden nachjustieren muss. Sie kommt hinter der Maschine hervor, um sich an der Messanlage zu schaffen zu machen, und dabei beugt sie sich so über den Studenten, dass der ihr zwangsläufig in den Ausschnitt ihres Laborkittels schauen muss.« Er hielt inne.
»Und?«
»Sie hatte darunter nichts an.«
Ich starrte Hans-Olof an, wartete darauf, dass er zugab, einen Witz gemacht zu haben, aber er schien es völlig ernst zu meinen.
»Ist nicht wahr«, meinte ich.
Er hob die Schultern. »Neben dem Kopf des Studenten war eine winzige Kamera und ein Monitor montiert. Sie konnte genau sehen, was in seinem Blickfeld lag, und ihre Bewegungen danach steuern.«
Ich schüttelte den Kopf. »Und für so was bekommt man den Nobelpreis?«
»Die Ergebnisse waren phänomenal. Es gibt Videoaufzeichnungen, auf denen man gleichzeitig die Vorgänge im Labor und die Aktivitäten im Thalamus sehen kann. Man kann genau sehen, wie in dem Moment, in dem sie sich über den Studenten beugt, chemische Prozesse stattfinden, wie sich Hormonsystem und Nervensystem gegenseitig in einen Erregungszustand hochschaukeln.«
Ich musste unwillkürlich lachen. »Ja, das glaube ich unbesehen. Und was hat sie mit Studentinnen gemacht?«
»Nichts. Sie hat den Versuch nur an männlichen Studenten durchgeführt.«
»Aber die müssen doch begeistert gewesen sein.«
Hans-Olof rieb sich das Kinn. »Na ja, wie man’s nimmt. Weil der Versuch natürlich von der Überraschung lebte, hat sie vor allem diejenigen Studenten ausgesucht, die ihrer Einschätzung nach eher verklemmt waren, in der Hoffnung, dass sie das nicht sofort weitererzählen würden. Bei sechsunddreißig ging alles gut, aber der siebenunddreißigste marschierte zum Rektor und zur Presse, und der Skandal war perfekt. Sofía Hernández Cruz wurde gefeuert.«
»Und ging in die Schweiz.«
»Über ein paar Umwege. Es war wahrscheinlich keine leichte Zeit für sie.«
Ich versuchte mir das alles bildlich vorzustellen. »Ich kann nicht glauben, dass siebenunddreißig schlüpfrige Versuche reichen, um auch nur für den Nobelpreis nominiert zu werden.«
Hans-Olof winkte ab. »Ihr Experiment ist natürlich an vielen anderen Instituten wiederholt worden, in den USA, in Japan, in Europa … Nicht mit ihrer Art Körpereinsatz, zugegeben. Meistens hat man die Versuchspersonen einfach mit erotischen Bildern überrascht, aber die Ergebnisse waren trotzdem vergleichbar. Dank der Hernández-Cruz-Versuche ist die Verschaltung von hormonalem und neuronalem System heute weitgehend geklärt.«
Ich schüttelte den Kopf und griff nach meinem Werkzeug.
»Das ist einfach verrückt, wenn du mich fragst.« Irgendwie bekam ich dieses Bild nicht aus dem Kopf. Eine Wissenschaftlerin im weißen Kittel – und nichts sonst –, die sich über einen heißblütigen jungen Spanier beugt … Das löste auch bei mir ganz schöne Prozesse aus, musste ich zugeben. Das hätte ich ihr allerdings auch ohne alle Messgeräte sagen können.
Eine Idee kam mir. »Sagt dir eigentlich die Abkürzung JAS etwas? Wie Juveniles Aggressions-Syndrom? «
Hans-Olof blinzelte irritiert, grübelte einen Moment vor sich hin. »Kommt mir vage bekannt vor, aber ehrlich gesagt, es gibt heutzutage so viele Syndrome – jeder erfindet sein eigenes … Wieso, was ist damit?«
»Bei Rütlipharm habe ich ein paar Artikel dazu gefunden. Scheint, als interessierten die sich ziemlich dafür.«
»Hmm.« Löste offenbar nichts aus bei ihm. »Klingt auf jeden Fall eher nach Pädiatrie, allenfalls nach Psychopharmakologie. Dazu kann ich wenig sagen, das ist nicht mein Gebiet.«
»Wieso? Du bist doch Pharmakologe, oder?«
Er hüstelte. »Na ja, aber das ist heutzutage ein weites Feld. Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren über Schmerzentstehung und Schmerzleitung. Und über Schmerzmittel natürlich. Da verliert man die Entwicklungen auf anderen Gebieten einfach aus den Augen.« Er
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