Der Nobelpreis
die sich wie Bibelzitate lasen, mit seltsamen astronomischen und anderen Symbolen, die bedeutungsvoll aussahen, mir aber nicht das Geringste sagten.
Da. Auf der vorletzten Seite war ein Artikel über zwei Männer, die ein vierzehnjähriges Mädchen entführt und sie, während sie die Familie mit Anrufen und Lösegeldforderungen hinhielten, mehrere Wochen lang so brutal vergewaltigt hatten, dass sie schließlich an den zugefügten Verletzungen gestorben war. Und sie wären nicht einmal aufgeflogen, hätte nicht einer der beiden Fotos von ihren Heldentaten gemacht und bei einem kleinen Fotogeschäft zum Entwickeln gegeben, das noch von Hand arbeitete.
Ich ließ das Album sinken. Ich musste an das Labor meines Schwagers denken, an seine gekreuzigten Mäuse und die Säure, die in der Dunkelheit auf sie herabtropfte, die ganze Zeit über, auch jetzt, während ich hier saß. Ich sah die Skalpelle im Abfluss wieder vor mir und ahnte auf einmal, dass es einen Ekel vor den Menschen gab, der einem das Sterben leicht machte.
»Sie haben Recht«, sagte ich. »Die Welt ist wirklich in den Händen Satans.«
Tollar geriet ganz aus dem Häuschen. »Ja, ja, ja! Ich habe es gewusst. Sie haben mich erkannt, nicht wahr, Sie haben mich erkannt?«
Ich sah ihn an. Für einen Moment fragte ich mich, was für eine Geschichte sich wohl hinter seiner traurigen Existenz verbarg, was ihn dazu getrieben haben mochte, sich in diese fiebrige Weltsicht zu verbohren.
Zugleich tröstete es mich auf abartige Weise, nicht allein mit meinem Entsetzen zu sein. Die Welt war in den Händen Satans. Ich wäre nie darauf gekommen, diese Symbolik zu verwenden, aber sie drückte im Grunde genau das aus, was ich zeit meines Lebens empfunden hatte.
Trotzdem musste ich ihn jetzt loswerden.
Ich klappte das Album andächtig zu und reichte es ihm.
»Ich habe Sie erkannt, Tollar Liljekvist. Aber es ist besser, wenn wir nicht darüber reden und man uns nicht zusammen sieht. Die Wände haben Ohren, die Spione des Feindes sind überall. Jeder von uns muss seinen Kampf auf seine Weise führen.«
Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, presste sich das Album vor die Brust und nickte dann, über das ganze Gesicht strahlend. »Sie haben Recht«, hauchte er. »Sie haben absolut Recht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber jetzt … ja, ja … genau.« Er hob den Finger. »Jeder auf seine Weise. Ja, genau.«
Und mit einem letzten, verschwörerischen Blick stand er auf, ging zur Tür und verschwand, wie er gekommen war.
Ich schloss die Augen und ließ mich hintenüber aufs Bett sinken. Für einen Augenblick herrschte vollkommene Stille, sogar draußen auf der Straße.
Ich fand es schon immer einfach, mit Leuten zurechtzukommen, die eine Macke haben – was besonders im Gefängnis viel wert ist, wo es von Leuten mit Macken nur so wimmelt. Im Grunde ist es nicht schwierig. Je besessener einer von irgendetwas ist, desto berechenbarer funktioniert er nämlich. Man muss nur herausfinden, auf welchen Tonfall, auf welches Wort, auf welche Vorstellung hin er in welche Richtung losgeht, dann kann man ihn regelrecht steuern. Wenn man im richtigen Moment die richtigen Knöpfe drückt, gibt es überhaupt keine Probleme mehr.
Doch gerade jetzt wäre ich mir weniger verloren vorgekommen, wenn das einzige Wesen, das mein Lebensgefühl je in Worte gefasst hatte, ein richtiges menschliches Gegenüber gewesen wäre, jemand, mit dem man hätte reden können – und nicht ein von zwanghaften Vorstellungen beherrschter Roboter.
Die Wärme, die mich einhüllte, die mir den ganzen Tag gefehlt hatte, ließ mich schwer und müde werden. Ich machte die Augen gar nicht erst wieder auf, sondern überließ mich einem köstlichen Halbschlaf, in dem ich jedes Zeitgefühl verlor. Die winterliche Dunkelheit draußen vor den Fenstern, das trübe Licht der alten Glühbirne unter der Decke, das Brummen des Verkehrs auf der Straße und das ungleichmäßige rschrsch-KNACK! der aufgeklebten Folie, wenn ein Windstoß sie ausbeulte, verwoben sich zu einem Kokon der Gleichförmigkeit, in dem Stunden vergehen mochten, Tage oder auch nur Minuten – ich hätte es nicht sagen können.
Ein Mensch … ein Gegenüber … Das ging mir nicht aus dem Kopf. Ich musste an Birgitta denken, an heute Morgen und an gestern, wie wir an dem kleinen Tisch in ihrer kleinen Küche beisammengesessen hatten. Heute hätte ich ihr ganz andere Dinge zu erzählen gehabt über die Schlechtigkeit der Welt, die sie nicht
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