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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Prinzipien. Nur um Ihre Integrität zu wahren, schlagen Sie eine Summe Geldes aus, für die andere einen Mord begehen würden. Was soll jemand wie ich da machen? Ich tue auch nur meinen Job. Und aus Erfahrung weiß ich, dass Leute wie Sie die Pest sind in meinem Geschäft. Niemand ist so schwer in den Griff zu kriegen wie ein moralischer Mensch. Deswegen kann ich Ihnen Ihre Tochter noch nicht zurückgeben.«
    Hans-Olof spürte ein Brennen in den Augen. »Aber wieso? Ich verstehe nicht. Ich habe doch getan, was Sie wollten.«
    »Ist das denn für einen intelligenten Mann wie Sie so schwer zu verstehen? Überlegen Sie. In den über hundert Jahren seiner Geschichte ist noch nie ein Nobelpreis zurückgezogen worden. Und natürlich will ich nach all unseren Mühen nicht, dass ausgerechnet der von Sofía Hernández Cruz der erste ist, bei dem das geschieht. Wenn ich Ihnen aber Ihre Tochter jetzt zurückgebe, muss ich doch befürchten, dass Sie einen Eklat verursachen, nicht wahr? Deshalb wird Kristina unsere Gastfreundschaft noch bis zur Preisverleihung in Anspruch nehmen müssen.«
    Hans-Olofs Blick ging über die bereitgestellten Schüsseln und Flaschen, die Zimtschnecken auf dem Ofenblech und den gedeckten Tisch, und alles verschwamm auf seltsame Weise wie hinter Wasser. »Das … das können Sie nicht machen. Das sind noch fast zwei Monate. Ich bitte Sie, Kristina ist doch erst vierzehn Jahre alt!«
    »Sie kommt hervorragend zurecht, glauben Sie mir. Und das wird so bleiben, wenn Sie vernünftig sind und mitspielen.«
    »Kann ich wenigstens mit ihr sprechen?«
    »Heute Abend nicht.«
    »Wann dann?«
    »Wir melden uns. Abends. Gehen Sie von jetzt an möglichst wenig aus, dann können Sie ab und zu ein paar Worte mit Ihrer Tochter wechseln.«

KAPITEL 12
    Nach einer weiteren bleiernen Nacht hatte Hans-Olof sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden. Während er am nächsten Morgen einige der übrig gebliebenen Zimtschnecken frühstückte, überlegte er, was zu tun war.
    Das erste Problem war die Schule. Fast zwei Monate Abwesenheit würden nicht leicht zu begründen sein. Auf keinen Fall konnte er dort jemanden in die wahren Hintergründe einweihen; die Schule war geradezu eine Einrichtung zur raschestmöglichen Verbreitung vertraulicher Neuigkeiten. Selbst er, der er sich allem Klatsch so weit als möglich entzog, wusste, in welcher Ehe es kriselte, wer mit wem ein Verhältnis hatte und wessen Firma in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Abgesehen davon würde es den übrigen Schülern gegenüber ohnehin nötig sein, für Kristinas Abwesenheit eine plausible Erklärung parat zu haben, also konnte er diese auch gleich selber erfinden.
    Er suchte in einschlägigen Büchern nach einer schweren Krankheit, die sich seiner Tochter glaubhaft andichten ließ, und als er eine gefunden hatte, griff er zum Telefon, um die Schule anzurufen. Er achtete darauf, diesmal mit der Schulleiterin höchstpersönlich zu sprechen, und erzählte ihr mit ernster Stimme – die ohne weitere Verstellung angespannt klang, daran hegte er keinerlei Zweifel –, dass Kristina am Vortag unter hohem Fieber gelitten habe, das über Nacht gekommen sei. Zuerst habe er an eine simple Erkältung gedacht, wie sie für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Doch bei seiner Rückkehr am Abend habe seine Tochter untypische Symptome gezeigt, weswegen er noch spät in der Nacht mit ihr ins Krankenhaus gefahren sei.
    »Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes«, sagte die Schulleiterin.
    »Leider doch«, erwiderte Hans-Olof und dachte daran, dass seine Tochter in den Händen gewissenloser Verbrecher war und er seit sechsunddreißig Stunden nichts mehr von ihr gehört hatte. »Man hat festgestellt, dass sie an Lymphogranulomatose leidet. Das ist eine Krebserkrankung, die auch als Hodgkin-Syndrom bekannt ist. Sie muss so schnell wie möglich behandelt werden.«
    »Großer Gott!«
    »Sie wird für die ersten Behandlungen bis Mitte Dezember im Krankenhaus bleiben müssen.«
    »Wie schrecklich!« Er hörte sie tief Luft holen. »Kristinas Klassenkameraden werden entsetzt sein, wenn sie das hören. Ich bin auch entsetzt, muss ich sagen.« Eine ratlose, hilflose Pause. »Kann man sie denn besuchen?«
    Diese Frage hatte Hans-Olof vorausgesehen. »Im Moment nicht. Sie bekommt eine Polychemotherapie, die ihr Abwehrsystem enorm schwächen wird. Selbst ich darf sie nicht sehen.« Das war nicht einmal wirklich gelogen. »Jeder Besuch könnte sie buchstäblich

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