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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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für den Bau neuer Gefängnisse sparen, also begnadigt sie Langzeitgefangene.«
    Ich sagte nichts. Es lag auf der Hand, dass jemand wie er das so sehen musste.
    Er hob den Deckel meiner nicht unbeträchtlichen Akte und pfefferte den Brief hinein. »Ein Skandal, dass ich das jetzt erst bekomme. Offenbar steht die Entscheidung in Ihrem Fall schon seit längerem fest, doch ich erfahre es erst in letzter Minute.«
    »Wirklich unerhört«, stimmte ich mit leisem Lächeln zu. Es war immer wieder erstaunlich, mit welcher Perfidie Intrigen dieser Art inszeniert wurden. Die Entscheidung konnte noch keine paar Tage alt sein, aber man hatte sich die Mühe gemacht, es so aussehen zu lassen, als sei alles völlig anders gelaufen, als hätte alles den üblichen Gang genommen. Tarnen, Täuschen, Spuren verwischen. Alles aus reiner Gewohnheit, vermutlich. Die Handschrift der Macht.
    Der Direktor musterte mich argwöhnisch. »Machen Sie sich über mich lustig, Gunnar?«
    »Nein«, erwiderte ich. »Ich hätte auch gerne früher davon erfahren.«
    Er blinzelte. Von dieser Seite aus hatte er die Sache offenbar überhaupt noch nicht betrachtet. »Ach so. Ja, natürlich.« Er klopfte nervös mit beiden Händen auf meine Akte, wodurch die Papiere darin in alle Richtungen verrutschten. »Ich bin nicht dafür, wie gesagt. Ich sehe bei Ihnen eine starke Rückfallgefahr. Ausgesprochen stark. Ich könnte aus dem Stand heraus fünf, ach was, zehn Mörder oder Bankräuber hier aus der Anstalt nennen, bei denen ich weniger Bedenken hätte, sie zu entlassen, als bei Ihnen, Gunnar.« Offenbar standen Mord und Bankraub für ihn auf ein und derselben Stufe, was ihre Verwerflichkeit anbelangte. Er hob mahnend den Zeigefinger, was ausgesprochen lächerlich aussah. »Nur auf Bewährung, denken Sie daran! Und bei Ihrem Vorstrafenregister sollten Sie das ernst nehmen.«
    Ich versprach, daran zu denken. Und es ernst zu nehmen.
    Er öffnete meine Mappe und versuchte, die Unterlagen darin wieder zusammenzuschieben, wobei er sie aber nur an den Kanten noch ärger zerknitterte, als sie es ohnehin schon waren. »So wie Ihr Fall liegt, bringt Sie das nächste krumme Ding für alle Zeiten hinter Gitter. Da helfen Ihnen dann auch keine dubiosen Erlässe des Justizministeriums mehr. Wenn die Handschellen noch einmal bei Ihnen klicken, Gunnar, werden Sie als uneinsichtig eingestuft, das steht fest. Dann können Sie sich schon mal Ihr Grab auf dem Gefängnisfriedhof aussuchen.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Wenn das der Preis war, um Kristina zu retten, war ich bereit, ihn zu bezahlen. Das Einzige, worauf es ankam, war, dass die Handschellen nicht zu früh klickten. Nicht, ehe sie frei war.
    Er fand noch ein Papier in der erbarmungswürdig aussehenden Akte. »Sie gehen wieder zu Ihrem alten Bewährungshelfer Per Fahlander, einmal die Woche. Viel hat er ja nicht für Sie tun können in all der Zeit, aber wenigstens kennt er sie.«
    Was Per Fahlander betraf, war meine Meinung über ihn der des Direktors diametral entgegengesetzt. Per Fahlander hatte eine Menge für mich getan. Er war mein Bewährungshelfer, seit ich meine erste Jugendstrafe verbüßt hatte, und er war es gewesen, der mich davon überzeugte, dass meine jugendliche Einbrecherei keine Zukunft hatte. Dann hatte er mir geholfen, die lukrative Karriere eines professionellen Industriespions zu starten, mir die ersten Aufträge und Kontakte verschafft und mir die Notwendigkeit klar gemacht, mich in diesem Beruf permanent weiterzubilden.
    »In Ordnung«, sagte ich.
    Der Direktor wühlte weiter in den Papieren und machte aus der anfänglichen Unordnung ein komplettes Chaos. »Sollen wir irgendjemanden von Ihrer Entlassung benachrichtigen? Ihren Schwager? Das ist er doch, dieser, ähm, Hans-Olof Andersson?«
    »Danke, das wird nicht nötig sein«, erwiderte ich und fand es amüsant, als Einziger um die Mehrdeutigkeit meiner Antwort zu wissen.
    »Wie Sie meinen. Ansonsten die üblichen Auflagen, polizeiliche Abmeldung, wenn Sie Stockholm verlassen, und so weiter, Sie kennen das ja.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich kenne das.«
     
    Aus dem Gefängnis entlassen zu werden hat immer etwas von Hinauswurf an sich. Man erhält Gegenstände zurück, die man jahrelang nicht gesehen hat und die einem fremd geworden sind, muss zahllose Papiere unterschreiben, die zu lesen man keinen Nerv mehr hat, bekommt einen lächerlichen Betrag als Entlassungsgeld in die Hand gedrückt, und schließlich öffnet sich eine Gittertür und eine

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