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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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an, gut auszusehen.
    Natürlich hatte ich mich arrangiert, hatte die Schlupflöcher entdeckt, die jedes System unausweichlich aufweist, egal, wie einfach oder kompliziert es auch sein mag, und sie mir nutzbar gemacht. Ich hatte mir meine winzigen Freiheiten erobert, kleine Sonderrechte ergattert, mir Umstände geschaffen, in denen es sich aushalten ließ. Die Machthaber in unserer grob gestrickten Simulation der Außenwelt, die Wärter, sind auch nur Menschen und damit empfänglich für freundliche Worte, hungrig nach Anerkennung, beeinflussbar im Rahmen ihres eigenen Handlungsspielraums. Meine Arbeit in der Werkzeugausgabe war, auch wenn ich mich weigern würde, sie als interessant zu bezeichnen, doch zumindest nicht so stupide wie diejenige, die die anderen mit Hilfe der ausgegebenen Werkzeuge zu verrichten hatten. Zudem stand ich sozusagen automatisch auf der Liste, wann immer der schwedische Staat wieder einmal anfallartig glaubte, seine Sträflinge durch ein Weiterbildungsangebot besser auf das spätere Zivilleben vorbereiten zu müssen. In neun von zehn Fällen bestand die Eingliederungshilfe in einem Computerkurs, und so hatte ich, abgesehen davon, dass man uns aus nahe liegenden Gründen von allem fern hielt, was mit dem Internet zu tun hatte, doch einigermaßen mit der rasanten Entwicklung der Personal Computer Schritt halten können. Was im Hinblick auf meinen Beruf in der Tat eine wichtige Hilfe war.
    Trotzdem hatte ich vom ersten Tag in meiner Zelle an auf den letzten darin hingefiebert, und je eher er kommen mochte, desto lieber sollte es mir sein. Das lag nicht einmal in erster Linie an meinem natürlichen Freiheitsdrang, sondern vor allem an den Menschen, von denen ich umgeben war. Denn es gibt einen fatal plausiblen Grund, warum die Strukturen in einem Gefängnis so übersichtlich und einfach zu verstehen sind. Sie müssen es sein, weil die Mehrzahl seiner Insassen sonst nicht kapieren würde, was sie tun und lassen sollen.
    Der durchschnittliche Gefängnisinsasse ist nämlich von einer kaum vorstellbaren Blödheit. Noch der größte Idiot in dem Kinderheim, in dem ich aufgewachsen bin – und es gab dort jede Menge Idioten –, hätte in dieser Umgebung wie ein nobelpreisverdächtiges Genie gewirkt. Das war das eigentlich Entwürdigende an einer Gefängnisstrafe: Plötzlich auf einer Stufe zu stehen mit diesen … Wesen, deren mentale Kapazität nicht über simple Reiz-Reaktions-Schemata wie » will haben – zugreifen « oder » kann nicht leiden – zuschlagen « hinausreicht. Ich saß in der Kantine neben Männern mit der Intelligenz einer Schlupfwespe, und nicht selten war es um der eigenen körperlichen Unversehrtheit willen nötig, sich an Gesprächen zu beteiligen, von denen Samuel Beckett in Sachen Absurdität noch einiges hätte lernen können.
    Ich fragte mich oft, ob das mittlere Intelligenzniveau eines Gefängnisses daher rühren mochte, dass die Polizei auch nicht besonders helle war und einfach nur die ungewöhnlich dummen Verbrecher fing. Aber wie, um Himmels willen, hatten sie dann mich schnappen können?
    Nach dem Gespräch mit meinem ungeliebten Schwager ertrug ich meine Umgebung weniger denn je. Das lieblose Grau der Flure. Den immer gleichen Geruch, wenn man die Kantine betrat, und die pseudoschönen großflächigen Farbornamente an ihren Wänden. Die erstickende Enge meiner Zelle.
    Und natürlich bekam Hans-Olof mich frei. Es dauerte zwar eine gute Woche, aber dann wurde ich ins Büro des Direktors zitiert, der mich, ein förmlich aussehendes Schreiben in der Hand und ein falsches Lächeln im Gesicht, von oben bis unten musterte und mir dann eröffnete, ich würde in Bälde vorzeitig aus der Haft entlassen und die Reststrafe auf Bewährung ausgesetzt.
    »Wann?«, fragte ich nur.
    »Am ersten Dezember«, sagte der Direktor. Er war ein unansehnlicher Mann mit fleischigem Gesicht, wässrigen Augen und ekzematischer Haut, der mit nasaler Stimme sprach und um den herum es irgendwie immer unordentlich aussah. Es ging das Gerücht, seine Frau habe ihn unlängst verlassen, nach dreiundzwanzig Jahren Ehe.
    »Das heißt, nächste Woche?«, vergewisserte ich mich.
    »Herrgott, ja, am Montag eben. Sie werden es erwarten können«, schnauzte er zurück. Das Lächeln war verschwunden, als wäre es nie da gewesen. »Ich bin nicht dafür, das sage ich Ihnen ganz offen. Die Direktiven, auf denen Ihre Entlassung beruht, sind in meinen Augen ein fauler Trick. Die neue Justizministerin will das Geld

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