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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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komme, ist es bestimmt.«
    »Von da aus sind es zu Fuß keine fünf Minuten in die Sergelgatan. «
    Ich hielt den Hotelprospekt unschlüssig in der Hand. »Das mit der Reservierung und so weiter hast du ebenfalls anonym erledigt, hoffe ich? Mit so einem Jungen von der Straße?«
    Hans-Olof biss sich auf die Lippen. »Über unser Sekretariat. Das ist völlig unauffällig«, fügte er hastig hinzu. »Die machen das jeden Tag ein Dutzend Mal, auch in Fällen, in denen man privat bezahlt. Offiziell bist du ein Arzt aus Göteborg.«
    »Hmm«, machte ich. Irgendwie war mir unwohl dabei. Ich erinnerte mich dunkel an das Nordlanden Hotel: ein klotziger Bau für Reiche und Spesenritter, ein Treffpunkt der herrschenden Klasse. Ich würde auffallen wie ein Hecht im Karpfenteich.
    Andererseits, irgendwo musste ich erst einmal unterkommen. Und ich hatte heute zu viel vor, um nebenher noch eine passendere Bleibe suchen zu können.
    »Okay«, sagte ich, faltete den Prospekt und schob ihn in die Jackentasche. »Zeit, dass wir uns trennen. Am besten, du lässt mich bei der nächsten U-Bahn-Station aussteigen.«
    »Das ist nicht weit«, erwiderte Hans-Olof und griff nach dem Zündschlüssel.
    Ich sah, dass seine Hände zitterten, aber ich ließ mir nichts anmerken, sondern sah hinaus in einen Himmel, in dem sich diffuses Bleigrau zusammenzog.

KAPITEL 18
    Auf der Fahrt stadteinwärts wurde mir klar, dass in meiner Zeit im Gefängnis mehr an mir vorübergegangen war als nur eine technische Entwicklung.
    Auf den ersten Blick hatte sich wenig verändert. Die Züge der U-Bahn sahen moderner aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Die U-Bahn-Stationen dagegen wirkten immer noch wie aus dem rohen Fels geschlagene Höhlen, in denen sich nach der Installation von Sitzbänken, Anzeigetafeln und ein paar Hängelampen jemand mit viel billiger Farbe, einem großen Pinsel und einem noch größeren Selbstbewusstsein ausgetobt hatte. Angeblich war das Ergebnis Kunst. Nun ja. Ich war in den letzten sechs Jahren in ästhetischer Hinsicht wahrhaftig nicht verwöhnt worden, aber mir kam die viel gerühmte Stockholmer U-Bahn-Kunst immer noch vor wie staatlich subventionierte Wandschmierereien.
    Dann fesselte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Die U-Bahn fuhr weitgehend leer, ein paar Stationen weit war außer mir nur eine junge Frau im Abteil, die mit dem Rücken zu mir saß und – in die Luft redete!
    Ich beobachtete sie. Sie gestikulierte beim Reden, schüttelte den Kopf, lachte, ganz wie bei einem richtigen Gespräch. Bloß dass ihr ein Gegenüber fehlte.
    Eine Verrückte? Man sieht solche Gestalten ja manchmal, aber in aller Regel sind sie nicht erst Mitte zwanzig und tragen auch keine gepflegten Mäntel mit Pelzkragen. Schließlich stand die Frau auf und ging zu den Türen, immer noch redend – »Ich steig jetzt aus. Wo bist du? Turegatan?« –, und da sah ich, dass sie eine Art Kopfhörer mit einem grazilen Mikrofonbügel vor dem Mund trug. Ein dünnes Kabel verschwand in den pelzigen Tiefen ihres Mantels.
    »Was Leute doch für Spleens haben«, dachte ich, als sie ausstieg.
    Dass das der Stil der Gegenwart war, begriff ich erst, als an der nächsten Station Schwärme von Fahrgästen hereindrängten und ich auf einmal drei Frauen um mich herum sitzen hatte, die alle telefonierten.
    Zu der Zeit, als ich ins Gefängnis gekommen war, waren Mobiltelefone etwas für Wichtigtuer gewesen, Symbole für Erfolg, Beweise für Bedeutsamkeit, Einfluss und Unentbehrlichkeit. Wenn man damals in der Öffentlichkeit ein klingelndes Telefon aus der Aktenmappe gehievt hatte, hatte man bewundernde, neidvolle, zumindest aber anerkennende Blicke auf sich gezogen. Entsprechend angeberisch waren die Gespräche gewesen. »Verkaufen Sie ABB. Kaufen Sie Swissair für dreihunderttausend.« Oder: »Sagen Sie Samuelsson, ich will den Bericht heute Abend auf meinem Schreibtisch haben, sonst kann er sich einen neuen Job suchen.« Und abends erzählte man am Stammtisch davon, dass man jemanden mit einem tragbaren Telefon hatte telefonieren sehen.
    Doch nun hatte jeder eines. Biedere Angestellte, Hausfrauen, Schulkinder, Teenager sowieso. Selbst bei einer silberhaarigen Großmutter klingelte es auf einmal in der Handtasche. Alle Welt telefonierte, dass man sich fragte, wie es Menschen früher in ihrer Einsamkeit und Stille ausgehalten hatten.
    Freilich, davon gehört hatte ich. Manchmal, wenn es sich nicht vermeiden ließ, irgendein Fernsehprogramm über sich ergehen zu lassen,

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