Der Nobelpreis
Bildung zu tun.
Es folgten etliche eng bedruckte Seiten, die auf den ersten Blick wie Sonderdrucke aus medizinischen Zeitschriften aussahen. Auf den zweiten erkannte ich, dass die Texte nur entsprechend formatiert worden waren; offenbar waren sie noch unveröffentlicht. Es ging um etwas, das JAS oder Juveniles Aggressions-Syndrom genannt wurde.
Davon hatte ich noch nie etwas gehört, also wanderten auch diese Unterlagen auf den Stapel.
Außerdem fand sich zu meinem nicht geringen Erstaunen noch eine Diskette in dem Umschlag. Eine ganz normale 3 1/2-Zoll-Diskette, ein Noname-Produkt, auf deren Etikett mit Bleistift »JAS« gekritzelt stand. Was fing jemand in einem Büro ohne Diskettenlaufwerk mit einer Diskette an? Rätselhaft und auf jeden Fall ein Beutestück.
Der andere Umschlag war – leer.
Das war einigermaßen verstörend. Ich drehte ihn um, kontrollierte das Datum. Danach war dieser Brief Ende September angekommen, gut zwei Wochen vor der Entführung Kristinas. Wenn das nicht zu Argwohn Anlass gab, dann wusste ich nicht, was sonst.
Ich vergewisserte mich noch einmal, dass ich jedes Blatt Papier, das sich im Safe befand, in Händen gehabt hatte, starrte das ganze Chaos dann noch eine Weile an und überlegte, was ich tun sollte. Weil mir nichts einfiel, beschloss ich, zunächst einmal die bisherige Beute einzustecken. Ich faltete die Kopien zusammen und wollte sie unter das Oberteil meines Trainingsanzugs schieben, wo ich in weiser Voraussicht eine große Tasche für derlei Dinge befestigt hatte.
Allerdings hatte ich dabei offenbar ein wenig hastig gearbeitet, denn eine der Sicherheitsnadeln hatte nicht richtig gegriffen, wodurch eine der oberen Ecken nach unten umgeknickt war, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich stand auf, um meine Kleidung geradezuziehen und den Schaden zu beheben. Und wie ich da so stand und unter dem Brustteil meines Trainingsanzuges herumnestelte, kam mir die unspektakuläre Aussicht über Sveavägen auf unerwartete Weise zugute.
Ich sah ein Polizeiauto um die Ecke biegen.
Das hätte mich nicht weiter beunruhigt; es ist schließlich normal, dass die Polizei des Nachts durch Stockholms unsichere Straßen patroulliert.
Aber ihm folgte ein zweites.
Beide hielten unter mir, keine zwanzig Schritte vom High Tech Building entfernt. Und ein dritter unverkennbar blau-weiß lackierter Wagen bog um die Ecke; die Aufschrift POLIS war sogar von hier oben lesbar.
Scheiße. Ganz, ganz große Scheiße.
KAPITEL 25
Einen Moment lang war ich wie gelähmt. Nicht, weil sie dabei waren, mich zu umzingeln – noch hatten sie mich nicht. Das Spiel war noch in vollem Gang. Ich hatte ähnliche Situationen schon oft erlebt, durchaus einige Male zu oft, und es war nicht immer gut für mich ausgegangen. Aber manche Male eben schon. Nein, nicht dass die Polizei anrückte, verwirrte mich – sondern dass sie erst jetzt kam.
Konnte es sein, dass ich trotz aller Vorsicht und aller Tricks einen stillen Alarm ausgelöst hatte, ohne es zu bemerken? Natürlich konnte es sein. Ich war seit sechs Jahren raus aus dem Geschäft; es mochten neue Technologien üblich geworden sein, von denen ich noch nie gehört hatte.
Doch wenn dem so war – warum kamen sie erst jetzt? Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Ich war seit fast zwei Stunden zu Gange, eine gute Stunde hatte ich allein vor dem geöffneten Safe verbracht. Falls ich beim Betreten der Räume oder beim Öffnen des Tresors Alarm ausgelöst hatte, war es ausgesprochen skandalös, dass die Polizei erst jetzt angerückt kam.
Wie auch immer, Rückzug war angesagt. Allerdings bestand kein Grund zu übertriebener Hektik. Ich verstaute meine Beute vor der Brust, legte ein paar Dinge so zurück an ihren Platz, dass der Schreibtisch unberührt aussah, und schloss die Safetür wieder, wobei ich, gehässig wie ich sein kann, die Visitenkarte mit der Kombination mit einschloss. Dann steckte ich die Taschenlampe ein und kehrte ans Fenster zurück, um mir die Bescherung anzusehen.
Es waren insgesamt vier Polizeiwagen, und das waren nur die, die ich sehen konnte. Ohne Zweifel näherten sie sich dem Hochhaus von allen Seiten. Ich jedenfalls hätte das getan.
Ich hätte allerdings auch nach einem Alarm nicht stundenlang gewartet.
Das Ärgerliche an einem Hochhaus ist, dass es in der Regel nur einen Ausgang hat oder jedenfalls nur eine sehr überschaubare Anzahl davon. Eine Hand voll Leute genügt in den meisten Fällen, sie alle abzuriegeln und jedem, der
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