Der Nobelpreis
Neues hätte kennen lernen sollen, das hätte er gerne mal gewusst.
Der achte Stock. Lauter Arztpraxen, Grundgütiger, und das in einem Gebäude, das es mit High Tech hatte! Der wabbelige Hausmeister war unermüdlich, den hatte der Chef wohl tierisch beeindruckt. Machte jede einzelne Tür auf. Na gut, schauten sie eben auch in die Schränke. Gefahr im Verzug? Wenn er sich da mal nur nicht schnitt, der Chef. Wenn einer von den Mietern das mitbekam, dass sie die Räume ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl gefilzt hatten, und klagte – Junge, Junge! Vor allem, falls sie niemanden fanden.
Eine noch, eine Zahnarztpraxis. Unverkennbar, selbst wenn es nicht auf dem Türschild gestanden hätte. Man musste nur die Tür aufmachen und einmal tief Luft holen. Grauenhaft, dieser Gestank! War das wirklich nötig, um zu desinfizieren? Oder benutzten sie das Zeug nur, um Kindern Angst einzujagen? Orrenius bemühte sich, flach zu atmen.
Wahrscheinlich hatte dieser hier auch hunderttausend Schränke, wie alle Ärzte. Aber statt sich an die Arbeit zu machen, damit sie schnell wieder rauskamen, blieb der Hausmeister dick in der Tür stehen, drehte sich um und meinte: »Ich fürchte, hier stören wir.«
Er wollte kehrtmachen und die Tür zuziehen, aber Orrenius bremste ihn. »Halt mal. Was soll denn das jetzt heißen?«
Der Hausmeister gab den Blick frei. »Schauen Sie doch.«
Orrenius schaute. Oha! Man brauchte in der Tat kein Team der Spurensicherung, um zu wissen, was sich hier abgespielt hatte. Sie sahen den Tatort einer heftigen Entkleidung ohne Rücksicht auf die beteiligten Kleidungsstücke. Teile eines eleganten weinroten Kostüms lagerten, achtlos weggeworfen, über hastig abgestreiften Schuhen. Eine zusammengeknüllte schwarze Hose umschlang eine zerknitterte Bluse. Socken, lange Strümpfe und die Unterhose eines Mannes lagen wie Konfetti in der Gegend verstreut, und über der Schreibtischlampe hing ein hellblauer, spitzenbesetzter Büstenhalter.
»Junge, Junge«, sagte Orrenius.
»Und hören Sie das?«, fragte der Hausmeister.
»Was denn?«
»Na, das! «
Orrenius horchte. Hoppla. Entweder war es das, wonach es sich anhörte, oder er hatte einen durch Hormonstau verursachten Hörschaden. »Doch. Höre ich.«
»Das ist doch ein Pärchen, oder?«
»Denke ich auch.«
»Die … die treiben es gerade, würde ich sagen.«
»Hört sich ganz so an.« Junge, Junge, bestimmt war das eine Nummer auf dem Zahnarztsessel. Irgendwas Perverses. »Doch, hört sich wirklich ganz so an.«
»Wir sollten besser gehen, ehe sie mitkriegen, dass wir hier reingekommen sind.«
»Nicht doch«, meinte Orrenius und hatte zum ersten Mal an diesem Abend Spaß an der Arbeit. »Nicht so schnell. Der Chef hat gesagt, alles kontrollieren. Mit besonderer Betonung auf ›alles‹. Oder? Da können wir nicht eigenmächtig irgendwas auslassen, würde ich sagen.«
»Na ja, aber Sie können doch nicht … ich meine, wollen Sie jetzt da reingehen und …?«
Orrenius winkte ab. Mann, war der Typ verklemmt. » Hej, ganz ruhig. Wir lassen sie erst mal fertig machen. Und dann wird sich alles Weitere finden. Vielleicht gibt es ja auch noch ein bisschen was zu sehen, oder? Kann doch nicht schaden.«
Er drehte sich zu den anderen um, die auch grinsten, als wäre schon Weihnachten. »Oder?«
»Unbedingt«, nickte der Dicke von der Streife.
»Anweisung ist Anweisung«, bekräftigte der Dunkle mit dem Ohrring, der heute Nacht noch gar nichts gesagt hatte.
»Oh, Mann!«, ächzte der Dritte, der jung und frisch bei der Truppe war und schon ganz rote Ohren hatte.
»Tja«, grinste Björn Orrenius den Hausmeister an, »Sie sehen, das Pflichtgefühl hat gesiegt. Wir warten.«
»Na, wenn Sie meinen«, erwiderte der und nestelte an seinem engen grauen Kragen.
»Immer locker«, meinte Orrenius und malte sich aus, wie das wohl sein mochte, auf einem Zahnarztstuhl zu vögeln.
Sie warteten. Die Frau kam langsam auf Touren. Manchmal blieb ihr die Luft weg oder so was, und dann hörte man einen Moment den Mann keuchen. Dann fiel sie wieder ein, keuchte »ja, ja, ja« oder quiekte, dass einem der Hammer in der Hose wuchs, verdammt noch mal. Orrenius biss sich auf die Lippen.
Endlich kam sie.
Dann er. Gurgelte, als wäre er am Ersticken.
Und dann war Stille, so plötzlich wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch. Orrenius sah sich um und blickte in peinlich berührte Gesichter. Der Junge sah fast drein, als sei ihm einer abgegangen, mitten in die Uniformhose.
Weitere Kostenlose Bücher