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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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heraus-oder hineinwill, peinliche Fragen zu stellen. Von anderem ganz zu schweigen.
    Ich warf einen neiderfüllten Blick auf das große Baugerüst, das an der Vorderfront eines Versicherungsgebäudes auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgebaut stand. Gestänge, schmale Leitern, das Ganze eingehüllt von schwerer Plastikfolie, die hier und da in dem Wind flatterte, der Sveavägen entlangpfiff. Von der obersten Plattform des Gerüsts, das konnte man im gelblichen Licht der Straßenbeleuchtung erkennen, ging ein dickes schwarzes Stromkabel weg, führte hinaus über die Straßenschlucht und verschwand in der Dunkelheit. Einen Moment lang überlegte ich, ob das Kabel wohl zum Dach des High Tech Building führte und ich entkommen könnte, indem ich mich daran hinüber auf die andere Straßenseite hangelte. Waren ja nur schätzungsweise achtzig Meter.
    Doch natürlich war das eine absolut hirnverbrannte Idee. Eine von der Sorte, die nur in Kinofilmen funktionieren, nicht in der Wirklichkeit. An einem Kabel über eine viel befahrene Straße hangeln, in fünfunddreißig Metern Höhe und bei Eiseskälte? Ich tat gut daran, diese Idee so schnell wie möglich zu vergessen und mir etwas Durchführbares auszudenken.
    Überhaupt, diese Fenster – ließen die sich eigentlich öffnen? Sah nicht so aus. Ich schaute hinunter auf das Glasdach über der Passage, sechs oder sieben Stockwerke unter mir. Sich an der Außenwand hinabzulassen war nicht grundsätzlich utopisch; das hatte ich schon gemacht, öfter sogar. In manchen Fällen ist das eine Standardtechnik, um irgendwo einzudringen. Allerdings braucht man dazu etwas mehr Ausrüstung, als ich sie im Augenblick bei mir trug oder auch nur mein Eigen nannte. Ein ausreichend langes und vertrauenswürdig stabiles Seil etwa, um nur ein Beispiel zu nennen.
    Ein Blick in die Runde, aber ohne wirkliche Erwartung. Solche Dinge fand man nicht in Büros.
    Ich huschte nach vom in den Empfangsbereich. Der lag im Dunkeln; nur ein paar Leuchtdioden glommen rot und grün irgendwo auf Tischen und an Geräten. Die Stockwerkanzeigen über den Fahrstühlen leuchteten in ruhigem, fahlem Weiß. Und sie hatten sich bis jetzt noch nicht bewegt, immerhin. Aber es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis die Zahlen anfangen würden hochzuzählen.
    Die reglosen Ziffern im Blick zückte ich den Schraubenzieher. Ein paar Minuten blieben mir noch; wahrscheinlich war man noch dabei, den Hausmeister aus dem Bett zu holen oder dergleichen.
    Eine realistische Fluchtmöglichkeit – man glaubt es kaum – ist bisweilen tatsächlich das Belüftungssystem. Wie im Film. Je nach Größe, Bauart und Baujahr eines Gebäudes sind Belüftungsschächte mitunter in der Tat groß genug, dass ein ausgewachsener Mensch darin herumkriechen kann. Sie sind es nicht, um unsereinem das Leben zu erleichtern, sondern weil sie so groß sein müssen, aus simplen technischen Gründen: Je größer ein Gebäude ist, desto mehr Luft muss man hineinpumpen, und je mehr Luft durch eine Leitung strömt, desto größer muss sie sein, wenn man allerlei Phänomene vermeiden will, die mit abrupten Druckänderungen einhergehen. Luft, die in einer Leitung unter Druck steht und daraus entströmt, macht beispielsweise Geräusche, die man unter Garantie nicht von morgens bis abends hören will. Außerdem kühlt sie sich dabei ab, und zwar heftig – nicht umsonst beruht die Funktionsweise von Kühlschränken auf diesem Prinzip. Wenn man es darauf anlegt, ein Gebäude zu heizen, ist das todsicher kein gewünschter Effekt. Deshalb gibt man Belüftungsschächten einen Querschnitt, der so groß ist, dass sich die Luft darin gemächlich und geräuschlos bewegen kann.
    Ich schob einen Tisch an die Wand, stieg darauf und schraubte das Gitter zum Lüftungsschacht ab. Groß war es, schön breit, und die vier Schrauben an den Ecken leisteten keinen Widerstand. Doch als ich es aus den Halterungen hob und neben mir abstellte, bot sich meinen Blicken ein metallener Schacht dar, der deutlich enger war, als ich erwartet hatte. Nicht völlig unpassierbar, aber doch irgendwie … unkomfortabel. Ich zückte die Taschenlampe und leuchtete in die dunklen Tiefen, aus denen mir kühle Luft entgegenströmte. Weiter hinten sah es gar nicht gut aus. Jede Menge Umlenkbleche, an denen kein geräuschloses Vorbeikommen war; man hätte sie abschrauben müssen. Und dahinter, wie es aussah, ein steiler Fallschacht. Für den fehlte mir wieder ein verlässliches Seil.
    Und wenn

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