Der normale Wahnsinn - Roman
erzählt. Hab stattdessen meine Ersparnisse angegriffen, von denen die Listers jetzt seit letztem Montag leben. Wenn ich die Sache gestanden hätte, hätte ich das Geld ja auch aus eigener Tasche ersetzen müssen. Wozu also unnötig Stress heraufbeschwören.
Ich höre, wie Marco dem Babysitter eine Entschuldigung entgegennuschelt. Sie heißt Jenka und ist Tschechin. Normalerweise arbeitet sie auf der anderen Straßenseite bei einer Nachbarsfamilie. Wenigstens hatte sie es nicht weit. Was sie nicht davon abhalten wird, sich über Kate aufzuregen. Ich weiß, dass Jenka ihr Babysitter-Job gründlich zum Hals raushängt. Sie bleibt nur noch so lange in England, bis sie das Geld für ihre Nasen-OP zusammen hat. Dann fährt sie wieder zurück nach Hause. Offenbar kriegt sie die Operation da drüben deutlich billiger.
Cameron fängt an zu weinen, und Kate versucht, ihn zu beruhigen, aber sie klingt ungeduldig, und das Weinen wird lauter. Ich könnte eingreifen, ihn zur Ruhe bringen, aber ich bin ja außer Dienst – zumindest, bis die beiden weg sind. Ich gehe in die Küche und hole mir eine Cola. Der Kühlschrank ist riesig, und ich darf mich mehr oder weniger frei aus ihm bedienen. Davon abgesehen ist er diese Woche ohnehin auf meine Kosten gefüllt worden. Ich gebe ein bisschen Eis ins Glas und höre das Klimpern, höre, wie Camerons Weinen noch verzweifelter wird. Ob ich doch mal nach oben gehen soll?
Marco : Der Babysitter ist wieder weg, und ich schließe die Haustür. Sie hat’s eigentlich ganz gut aufgenommen. Nettes Mädchen. Allerdings hat sie ’ne riesige Nase. Man muss das Ding einfach anstarren, ob man will oder nicht. Hab ihr zehn Pfund gegeben. Ich bleibe eine Weile im Flur stehen und höre Cameron, der noch immer weint. Wenn Christie doch nur zu ihm raufgehen würde. Ich kann sie in der Küche stehen und ihre Cola trinken sehen, als ob sie das alles nichts anginge. Na ja, sie hat ja um diese Zeit auch schon frei. Ich warte noch ein bisschen im Flur und frage mich, was ich jetzt machen soll. Ich schaue auf die Uhr. Wir hätten schon längst weg sein sollen. Nicht, dass ich es nicht erwarten könnte aufzubrechen. Aber wenn wir allzu spät dort ankommen oder am Ende gar nicht hingehen, dann wird Kate das ganze Wochenende mies drauf sein. Vielleicht sogar länger.
Ich frage mich, was sie gerade macht. Nein, nicht Kate. Hab sie ja immer nur während der Arbeit beobachtet, doch selbst da wirkte sie rundum fürsorglich. Ich stelle sie mir im Kreise ihrer Kinder vor. Stelle mir vor, wie sie ihnen das Haar kämmt, ihnen Kakao kocht und Gutenacht-Geschichten vorliest …
Was sie wohl gerade macht?
Ali : Paul parkt unweit von Siobhans und Dominics Haus. Er stellt den Motor ab und sieht mich an. Ich lächle.
»Sicher, dass du es durchstehen wirst«, fragt er schließlich. Ich hab die Frage schon erwartet.
»Ja, warum denn nicht?«, schnappe ich, und ich weiß, er hat diese Antwort schon erwartet.
Warum um Himmels willen sollte ich nicht gern zum Abendessen bei meiner besten Freundin gehen wollen? Nur weil sie vier Kinder hat? Nur weil jeder Zentimeter im Haus mit Spielzeug übersät ist und/oder kindersicher gemacht wurde? Nur weil der kleine Josh praktisch mit Siobhans Brust verwachsen zu sein scheint? Nur weil sie wirkt wie die keltische Fruchtbarkeitsgöttin in Person? Nur weil sie nur »Baby« zu denken braucht, umschwanger zu werden? Warum sollte ich ihr irgendwas davon übel nehmen? Sie ist meine beste Freundin. Ich liebe sie. Und ich hasse sie.
Wir steigen aus dem Auto, klauben die Weinflaschen und Blumen vom Rücksitz und gehen Hand in Hand zu Haus Nummer sechs. Paul klingelt, und während wir warten, küsst er mich auf den Mund.
»Ich liebe dich«, sagt er.
»Ich liebe dich auch«, sage ich.
Durch das Milchglas der Haustür sehen wir eine Gestalt näher kommen.
»Auf geht’s«, sagt Paul.
Siobhan : Es hat geklingelt! »Geh mal zur Tür, Dom!«, rufe ich nach unten. Hoffentlich ist es nicht Ali. Ich bin noch nicht bereit für sie. Tatsächlich renne ich oben mit einem Arm voller Puppen und Teddys hin und her wie ein Huhn ohne Kopf. Ich öffne die Tür zu Brendons Zimmer und werfe meine Last hinein. Darum kümmere ich mich morgen früh. So geht das jetzt schon eine Stunde lang. Chaos. Hektik. Stress. Normalerweise ist es mir egal, wie es bei uns zu Hause aussieht. Aber wenn Ali zu Besuch kommt, dann ist das was anderes. Dann fühle ich mich, als ob ich sämtliche Spuren an einem Tatort
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