Der normale Wahnsinn - Roman
ganz vergessen, ihr zu sagen, dass heute ein Mechaniker wegen des Audis vorbeikommt. Na ja, sie ist ja ohnehin nicht zu Hause. Egal, Kate wird ausflippen. Es ist wieder einer dieser Tage …
Marcia : 38,5 Grad Fieber und die kleinen Fingernägel blau angelaufen. Keine Frage, das ist ’ne Lungenentzündung. Darauf würd ich Haus und Hof verwetten. Wenn ich denn Haus und Hof hätte.
»Was hat er denn?«, fragt die Nanny des Jungen. »Er wird doch wieder gesund?«
»Wir warten lieber, bis der Arzt ihn gesehen hat, Liebes«, sage ich ihr. »Es wird nicht mehr lange dauern. Sie haben seine Mutter wohl noch nicht erreicht, oder?«
Sie schüttelt den Kopf. »Darf ich noch mal jemanden anrufen?«
Ich sollte es ihr verbieten, aber dann wäre ich nichts weiter als ’ne richtige Heuchlerin. Wer hat denn erst vor wenigen Minutenversucht, ihren eigenen Sohn telefonisch zu erreichen? Carlton! Was mag ihm bloß zugestoßen sein? Ich mach mir wirklich große Sorgen. Ich sehe die Nanny an. Ihr Gesicht ist angespannt vor Angst um das Kind. Ich weiß, wie sie sich fühlt.
»Okay, noch einen Anruf«, sage ich. »Aber beeilen Sie sich. Der Doktor kann jeden Moment hier sein.«
Marco : Das Handy in meiner Jeans vibriert. Bevor ich das Haus verließ, hab ich eine Entscheidung getroffen. Ich hab beschlossen, nur jeden zweiten Anruf entgegenzunehmen und Anrufe mit ungeraden Zahlen zu ignorieren. Also den ersten, den dritten, den fünften und so weiter. Das hier ist der erste, also gehe ich nicht ran. Wenn es wirklich wichtig ist, wird Anrufer Nummer eins es noch mal versuchen, was ihn zu Anrufer Nummer zwei machen wird. Eine gerade Zahl also. Und bei denen hebe ich ja ab. Ich weiß, die Strategie ist nicht idiotensicher. Was, wenn sich ein weiterer Anrufer dazwischendrängelt und den wichtigen Anruf damit auf Platz drei verweist, den ich somit ja wieder nicht beantworte … Im Grunde ist das System damit alles andere als effektiv, wenn man genauer darüber nachdenkt. Also denkt man besser nicht genauer darüber nach. Man legt sich einen Plan zurecht und hält daran fest. Das ist meine Philosophie. Ich kann ziemlich willensstark sein, wenn ich will. Nicht viele Leute wissen das.
Das Telefon gibt endlich Ruhe. Wenn es wirklich wichtig war, wird der Anrufer mir ’ne Nachricht hinterlassen. Oder es noch mal versuchen. Ich trinke einen Schluck von meinem Cappuccino. Dieser hier ist nicht von Starbucks. Da kann ich nicht mehr hingehen. Nicht nach dem, was letzten Samstag passiert ist. Keine Ahnung, wie ich das durchgestanden hab. Der Moment, als wir reinkamen, dann, als wir uns sahen … Ich dachte, sie würde jeden Moment was sagen wie … ich weiß nicht, etwas wie »Sind Sie nicht der Typ, der jeden Tag vor dem Starbucks sitzt?«. Irgendwas in der Art jedenfalls. Und wie hätte ich dannvor Kate dagestanden? Als ob ich ’ne Affäre hätte oder so. Dabei hab ich doch nur vor dem Starbucks gesessen und Kaffee getrunken. Aber Kate kann man da nichts vormachen. Die wittert selbst dort noch Verdacht, wo gar nichts ist. Na ja, und in diesem Fall hätte sie ja auch Recht, oder? Ich hab eben nicht nur dagesessen und Kaffee getrunken, stimmt’s?
Sie heißt Ali. Eigentlich Alison. Obwohl niemand sie so nennt. Ich hab sie weder das eine noch das andere genannt. Ich hab den ganzen Abend kein Wort rausgekriegt. Im selben Zimmer zu sein wie sie, sie reden zu hören, sie essen zu sehen … Obwohl sie nicht viel gegessen hat.
Sie verkörpert für mich alles, was ich mir je erträumt habe.
Und obwohl ich sie nur über die Straße hinweg beobachtet habe, fühlte es sich so an, als ob ich sie schon lange kenne. Und ich war zufrieden, denn meine Vermutungen über sie sollten sich als richtig herausstellen. Die Art, wie sie sprach, die Dinge, für die sie sich interessierte. Alles stimmte. Abgesehen von der Tatsache, dass sie keine Kinder hat. Das hat mich überrascht. Ich kann kaum beschreiben, was ich für sie empfinde. Es ist ein Gefühl, wie ich es noch nie zuvor für jemanden empfunden habe. Der Abend war eine seltsame Mischung aus wundervollen und schrecklichen Momenten. Ich hab mich den schrecklichen Momenten gestellt, weil das gleichzeitig bedeutete, ihr nah sein zu dürfen. Das einzige Problem an der Sache ist, dass damit auch ein Kapitel in meinem Leben zu Ende ging. Ich kann nie wieder ins Starbucks gehen. Es ist, als ob Gott gesagt hätte: »Hier, nimm das, aber im Gegenzug dafür wirst du nie wieder ins Starbucks gehen können.«
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